Natur/Umwelt Welt

Zwei tote Wale und eine gespaltene Rückenflosse

In Kanada haben Walbeobachtungsboote mehrfach Wale angefahren, mitunter tödlich.

Kanada: Walbeobachtung in der Kritik

Zwei Wale starben in Britisch-Kolumbien nach Zusammenstößen mit Fähren und einem Walbeobachtungsboot. Tierschützer erheben schwere Vorwürfe gegen die Betreiber.

Flosse des getöteten Buckelwals Wisp ©Jana von Keats Island

Dreimal soll der Wal vor dem Bug des Schiffes aufgetaucht sein. Mindestens bei einem Auftauchen fuhr das Boot des Unternehmens Prince of Whales (Prinz der Wale) bei voller Geschwindigkeit in den massigen Tierkörper hinein. Der Aufprall muss enorm gewesen sein. Dennoch hätten „Besatzungsmitglieder der Tour beim Wegschwimmen keine offensichtlichen Verletzungen“ festgestellt, so Prince of Whales, als es vier Tage nach dem Zusammenstoß auf Facebook eine Stellungnahme abgibt. Zu diesem Zeitpunkt ist der angefahrene Wal auf Keats Island bereits tot gefunden und als der vierjährige Buckelwal BCY1464 namens „Wisp“ identifiziert worden.

„Wir sind zutiefst betroffen vom tragischen Verlust von Wisp“, lässt das Unternehmen, das sich selbst mit dem Slogan „Bestes Walbeobachtungserlebnis von Britisch-Kolumbien“ bewirbt, verlauten. „Unser Team hatte das Privileg, diesen Wal im Laufe des Sommers viele Male zu sehen, und wie viele von Ihnen haben auch wir eine tiefe Zuneigung zu ihm entwickelt.“ Förmlicher heißt es: „Am Donnerstagnachmittag führte eines unserer Walbeobachtungsschiffe gemäß den Sicherheitsvorschriften ein entschlossenes Ausweichmanöver durch, um einem Buckelwal auszuweichen, der während der Fahrt in der Nähe von Vancouver plötzlich und unerwartet direkt vor dem Schiff aufgetaucht war. Obwohl das Schiff fast sofort anhalten konnte, gab es während des Manövers nur minimalen Kontakt mit dem Wal.“ Einige Passagiere, die an Board waren, geben jedoch gegenüber dem lokalen TV-Sender ChekNews an, diese Darstellung verharmlose den Vorfall. „Wir waren mit einer guten Geschwindigkeit unterwegs“, erzählt eine Frau. Passagiere seien aus ihren Sitzen geschleudert worden. Andere hätten leichte Gehirnerschütterungen erlitten und einige hätten durch den Aufprall Zähne verloren.

Nur zwei Tage zuvor war in der Nähe der Stadt Vancouver ein Buckelwal von einer Schnellfähre der Reederei Hullo Ferries angefahren worden. Der Buckelwal wurde als „Skipper“ identifiziert und vermutlich Anfang 2025 in Hawaii geboren. Das Kalb erlitt eine tiefe Wunde in der Nähe seiner Rückenflosse. Forscher und das Fischerei- und Ozeanministerium (DFO) überwachen ihn nun und hoffen auf seine Genesung. Hullo Ferries ist die schnellste Fährgesellschaft in British Columbia mit bis zu 14 Fahrten pro Tag zwischen Vancouver auf dem Festland und der Insel Vancouver Island. Die Reederei betreibt zwei Katamarane, die Geschwindigkeiten von bis zu 40 Knoten (74 km/h) erreichen können – doppelt so schnell wie die meisten Schiffe des staatlichen Fährbetriebs BC Ferries. Dennoch war erst im September 2025 ein anderer Buckelwal von einer BC Fähre angefahren und getötet worden. Tierschützer sind empört: „Buckelwale können nun einmal jederzeit auftauchen – das ist ihre Natur. Die Unternehmen wissen das und müssen sich entsprechend verhalten.“

„Und das sind nur die bekannten Kollisionen“, zitiert ChekNews Jackie Hildering, Buckelwalforscherin bei der Marine Education & Research Society (MERS). Das Institut bietet einen kostenlosen Bootsführerscheinkurs an, mit dem jedermann sich weiterbilden und so dazu beitragen kann, Kollisionen mit Walen zu vermeiden. Hilderings Ansicht nach sind die jüngsten Vorfälle in die Öffentlichkeit gedrungen, weil Passagiere beteiligt waren. Große Schiffe würden den Aufprall auf einen Buckelwal vermutlich gar nicht spüren.“ Das heißt, das wesentlich mehr Wale von Schiffen angefahren und getötet werden, ohne dass die Welt je davon erfährt.

Im August 2018 berichtete ChekNews schon einmal über eine ähnliche Tragödie. Ein Fischer des indigenen Makah-Stammes im US-Staat Washington hatte einen toten Buckelwal in der Juan-de-Fuca-Straße, der Meerenge zwischen US-Festland und Vancouver Island, gefunden. Der 9,5 Meter lange junge Buckelwal hatte einen gebrochenen Kiefer und Schädelfrakturen, was Experten zufolge auf eine Schiffskollision hindeutet. Normalerweise werden tote Wale aufs Meer hinausgebracht und dort versenkt, damit sie verwesen. Doch in diesem Fall schleppten Fischer den toten Wal an den Strand. Denn, so berichtet die Seattle Times damals, der tote Wal war einen Tag vor dem jährlichen Fest der Stammesgemeinschaft gefunden worden und würde nun das ganze Dorf ernähren. „Er ist heilig“, kommentierte der Vorsitzende der Makah, die im Laufe ihrer Geschichte gestrandete Wale wie diesen bargen und zur Waljagd mit Kanus und Harpunen aufs Meer fuhren. „Wir bedauern zutiefst, dass der Wal von einem Schiff angefahren wurde und gestorben ist, aber er wird in unserer Kultur weiterleben.“

Die meisten Walbeobachtungsaktivitäten finden an der Südspitze von Vancouver Island in der gesamten Provinz Britisch-Kolumbien statt. So schreibt Ryan Michael, der Administrator der Facebook-Gruppe Friends of Vancouver Island. Er postet ein Schaubild von Daten, die er nach eigenen Angaben im Sommer 2025 selbst gesammelt habe über die Fahrtrichtung und Geschwindigkeit von Walbeobachtungsbooten. Danach verlassen an einem typischen Morgen ein Dutzend Walbeobachtungsboote gleichzeitig den Hafen von Victoria, fast alle mit hoher Geschwindigkeit. „Diese Boote legen um 10 Uhr morgens ab, rasen nach ihren Touren zurück, laden neue Passagiere auf und rasen mit derselben Geschwindigkeit wieder übers Meer.“ Geschwindigkeitsbegrenzungen in Gebieten mit hoher Waldichte sollten nicht nur Empfehlungen sein – „sie sind eine moralische Notwendigkeit“, folgert er daraus.

Und noch etwas hat Ryan Michael recherchiert: Er hat herausgefunden, dass ein Walbeobachtungsschiff der Firma Prince of Whales, die am 25. Oktober den Buckelwal Wisp anfuhr, bereits im Jahr 2017 einen ähnlichen Unfall verursacht hatte. Das Schiff damals sei mit 24–27 Knoten (rund 50 Km/h) gefahren, und einge Passagiere hätten sogar ins Krankenhaus gebracht werden müssen. Die damalige Stellungnahme des Unternehmens gleiche der aktuellen: Der Wal sei „unerwartet direkt vor dem Schiff aufgetaucht“, „nach der Kollision dreimal aufgetaucht“ und „offenbar unverletzt“ gewesen.

Ein anderes Mitglied der „Freunde von Vancouver Island“ enthüllt auf Facebook eine weitere Neuigkeit: Der Schiffsbetreiber Prince of Whales ist Finalist bei den Ecostar Awards, die Unternehmen für ihre nachhaltigen und regenerativen Praktiken auszeichnen… „Was haltet ihr davon, bei den Sponsoren Druck zu machen, damit diese Firma keine Auszeichnung erhält?“, schreibt der User, der anonym bleiben will, weil er, so schreibt er, für einen der Sponsoren arbeite.

Ein Mann gibt sich als ehemaliger ehemaliger Kapitän von Walbeobachtungsbooten für Prince of Whales und andere Unternehmen zu erkennen. „Die Entscheidungen werden von einzelnen Kapitänen getroffen, es mangelt an gegenseitiger Ehrlichkeit und Kontrolle in der Branche“, schreibt er. Es gäbe definitiv zu viele Boote. Und dabei zu wenig Selbstregulierung und Weiterbildung. 30 Knoten (55 Km/h) in der Nähe von Walen sei zu schnell. Die Rechenschaftspflicht und das gegenseitige Melden von Vorfällen unter den Unternehmen sind in der Branche viel zu gering – und stigmatisiert. Allerdings, so fügt er hinzu, habe er auch schon schlimmeres Verhalten von Freizeitkapitänen als von Walbeobachtern gesehen.

„Ich war vom Verhalten vieler Anbieter angewidert. Wie ich auch überrascht war vom Verhalten von Walen, das mich und andere Schiffe näher an diese Tiere heranführte, als mir lieb war. Ich habe diese Branche verlassen, weil es keine klaren Richtlinien oder Konsequenzen für diejenigen gibt, die gegen die Regeln verstoßen. Ich kenne viele Kapitäne, die unglaublich engagiert sind und ihren Passagieren lehrreiche und respektvolle Touren bieten. Sie kümmern sich aufrichtig um die Tiere, die sie beobachten – und von denen sie letztlich abhängig sind, um mit Ökotourismus ein tragfähiges Einkommen zu erzielen.
Viele Kommentare fordern, dass die Boote verschwinden sollten. Ich bezweifle, dass das geschehen wird. Vielmehr müssen die Fahrer zu einem viel rücksichtsvolleren Verhalten erzogen werden. Außerdem müssen die Unternehmen reguliert und die Erwartungen der Passagiere angepasst werden. Unfälle passieren. Wenn aber ein Kapitän regelmäßig mit überhöhter Geschwindigkeit fährt, sollte er sofort seines Postens enthoben werden. Generell gibt in den Gewässern auch mehr Boote, von kleinen Kajaks bis hin zu riesigen Containerschiffen. Alle diese Schiffsführer sollten im verantwortungsvollen Umgang mit unseren marinen Ökosystemen geschult werden, statt lediglich einen Online-Test absolvieren zu müssen. Wenn wir alle anfangen, uns selbst, den Tieren und den Ökosystemen mit mehr Achtsamkeit zu begegnen, könnte Ökotourismus womöglich eine realistische Alternative sein.

Ruhe in Frieden, lieber Wal. Möge dein Tod und der Tod anderer Wale in diesen Gewässern die Unternehmen und Behörden dazu bewegen, tatsächlich positive Veränderungen herbeizuführen.

Facebook Post 26. Oktober 2025

Ein weiteres Mitglied der Freunde von Vancouver Island listet die Vor- und Nachteile des Walbeobachtens von Land und von einem Boot aus auf:

Walbeobachtung vom Ufer aus:
0,0 % Risiko, einen Buckelwal zu verletzen oder zu töten. Keine Kosten (außer für gute Zoomobjektive … die sich lohnen!). Das Verhältnis von Wartezeit am Ufer zu tatsächlichen Sichtungen ist beträchtlich. Geduld ist definitiv erforderlich. Die perfekte Gelegenheit für ungestörte und gefahrlose Fotos fernab menschlicher Siedlungen.

Walbeobachtung vom Wasser aus: Kann zu Verletzungen, Unterbrechung der natürlichen Bewegung und Nahrungssuche (was beispielsweise zur Abmagerung von Grauwalen beiträgt) und sogar zum Tod führen. Etwa 200 US-Dollar pro Tourist. Ideal für Ungeduldige, die das Risiko für Mensch und Meereslebewesen in Kauf nehmen. Abstandsregeln verbieten Beobachtungen aus nächster Nähe. Eingriffe in Lebensräume von Meerestieren sind erforderlich.

PS: Ich selbst habe beim Verlassen einer Schnellfähre von Victoria nach Seattle (siehe mein Reisebericht vom 5. Oktober) eine Mitreisende getroffen, die an der Westküste von Vancouver Island eine Walbeobachtungstour mitgemacht hatte. Begeistert erzählte sie mir, dass das Boot, mit dem sie fuhr, die Wale über Stunden hinweg „begleitet“ hätte. Für mich war es das erste Mal, dass ich eine Schnellfähre benutzt habe – und nach dem, was ich inzwischen erfahren habe, wird es auch das einzige und letzte Mal gewesen sein!

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