Bei einer Anti-Trump Demo in einer Kleinstadt in den USA
Unter dem Motto „No Kings – Keine Könige“ gingen geschätzte sieben Millionen Menschen gegen Donald Trump und seine Regierung auf die Straße – in allen 50 US-Staaten. Im Nordwesten konnte ich eine Kundgebung beobachten.

Bellingham ist eine Kleinstadt im US-Staat Washington, im äußersten Nordwesten des Landes am Pazifischen Ozean gelegen und nur eine halbe Stunde von der kanadischen Grenze entfernt. In dem beschaulichen Universitätsstädtchen, das manche liebevoll auch „Stadt der zurückhaltenden Begeisterung“ nennen, leben knapp 100.000 Menschen. 5.000 sollen laut „offiziellen Angaben“ an diesem Samstag bei der No Kings-Kundgebung teilgenommen haben, um gegen Donald Trump und sein Kabinett zu protestieren, berichten Lokalzeitungen. Ich bin mit einer Bekannten gekommen, die Mitglied in der Unitarierkirche ist. Von deren Gemeindehaus gehen wir in einem Grüppchen von rund 30 Mensche bis zum Versammlungsort im Maritime Heritage Park. Von einem Hügel aus blicke ich auf das Rondell mit der Bühne. Dort stimmt eine lokale Band mit einem schmissigen „No Kings“-Lied die Teilnehmer auf das Motto der Veranstaltung ein. Diese singen inbrünstig mit. Die Stimmung ist beinahe ausgelassen, Bekannte begrüßen und umarmen sich und beschwören den Geist gemeinsamen Widerstands.
„Das ist nicht rechts oder links. Es ist richtig oder falsch“, lese ich auf dem Schild eines Teilnehmers. Andere halten amerikanische Flaggen verkehrt herum, das internationale Symbol der Not, und skandieren „SOS“. Viele in der Menge haben sich als lebensgroße Frösche, Hühner, Dinosaurier, Einhörner verkleidet – Figuren aus der „Star Wars“-Rebellion. Damit schließen sie sich Demonstranten in Portland an, die aufblasbare Kostüme zu einem festen Bestandteil der jüngsten Proteste gegen die ICE-Einrichtungen gemacht haben. „ICE“ ist das Kürzel für „Immigration and Customs Enforcement“, die größte Polizei- und Zollbehörde des Ministeriums für Innere Sicherheit. Sie wurde nach den Attentaten vom 11. September 2001 gebildet und ist für die Überwachung der Bundesgrenzen und der unerlaubten Migration zuständig. In der zweiten Amtsperiode von Donald Trump hat sie vor allem mit teils willkürlich scheinenden Verhaftungen von angeblich kriminellen Immigranten für Aufsehen und Aufstand gesorgt.



Sieben Millionen Menschen sollen an diesem Samstag im ganzen Land demonstriert haben – so viel wie noch nie zuvor in den Vereinigten Staaten. Bei den ersten Protesten am 14. Juni waren es geschätzt zwei Millionen weniger. The Epoch Times berichtet von einer möglichen Infiltration der „No Kings“-Bewegung durch kommunistische Gruppen. Reflexhaft denke ich, das in den USA bekanntlich alles links der Mitte sehr schnell mit diesem Label behaftet wird. Andererseits: Nachdem sich herausgestellt hat, dass viele der Gründer von „Black Lives Matter“ marxistisch geschult waren, sind solche Erwägungen nachvollziehbar. Die Bekannte, mit der ich zu der No Kings-Kundgebung in Bellingham gekommen bin, sowie die anderen Demonstranten, mit denen ich im Lauf der Veranstaltung spreche, sind sicherlich im klassischen Sinn „links“ einzuordnen – sie sind aber auch gewiss keine Kommunisten.
Über unseren Köpfen kreist eine kleine Drohne, werden wir ausgespäht Auf der Bühne weist die Moderatorin nochmals explizit auf den gewaltlosen Charakter der Veranstaltung hin. Sie schwört die Teilnehmer darauf ein, dass „organisierte Gruppen und organisiertes Geld“ Macht bedeuteten, und lässt die Menge diesen Slogan mehrfach wiederholen. Der Demokrat Alex Ramel, Mitglied des Repräsentantenhauses von Washington aus dem 40. Bezirk, zu dem auch Bellingham gehört, lobt seinen Parteikollegen, Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom. Und die versammelte Menge jubelt und klatscht. Zu diesem Zeitpunkt kommen mir doch einige Bedenken, wie kritisch die hier Protestierenden tatsächlich sind. Unter Gavin Newsom ist die Kriminalität gleichsam explodiert, ebenso die Zahl der Obdachlosen. Der Wegzug von Menschen, die sich das Leben in Kalifornien nicht mehr leisten können, wie auch derer, die vor der Steuerlast flüchten, hält unvermindert an. Und wenn die Menschen auf der No Kings-Rally hier in Bellingham fordern „Trump muss weg!“, überlegen sie, was bzw. wer nach ihm kommen wird?
Natürlich bedeutet Geld heutzutage immer noch Macht. Doch haben die wahre Macht inzwischen nicht diejenigen, die im Besitz unserer Daten sind? Und was ist mit den brennenden Themen unserer Zeit: die schrittweise Verdrängung des Bargeldes durch digitale Währungen, die dann programmierbar wären wie das soziale Kreditsystem in China – und deshalb aus zivilem Ungehorsam und Selbstinteresse bar statt mit Kreditkarte zu bezahlen; das Fortschreiten der künstliche Intelligenz und die dadurch zu erwartende Massenarbeitslosigkeit; allgegenwärtige Überwachung durch biometrische Gesichtserkennung und digital ID. Nichts von all dem wird auf der No Kings-Rally in Bellingham angesprochen. Ich vermisse die Aufforderung, die Menschen sollten nicht so leichtfertig ihre Daten und mitunter intimsten Informationen auf Facebook, Instagram, X und anderen sozialen Medien preisgeben. Wo bleibt der Aufruf, nicht mehr aus Bequemlichkeit und Pfennigfuchserei Waren etwa über Amazon zu kaufen, sondern physische Geschäfte zu unterstützen. Und der Hinweis, den eigenen Energiekonsum einzudämmen, indem man im Sommer die Thermostate der Airconditioner einige Grad höher stellt und beim Kochen einen Deckel auf den Topf setzt. Stattdessen höre ich die hergebrachten Plädoyers für Erneuerbare Energien, „Diversität, Gleichheit und Inklusion“ sowie, in einem Atemzug für Transrechte und Frauenrechte. Dies wieder offenbar ohne die kritische Differenzierung, dass etwa Transgender-Athleten dem konkurrierenden Sportlerinnen nicht nur Medaillen, sondern damit auch die damit verbundenen Universitätsstipendien wegnehmen, und Pubertätsblocker durchaus gesundheitlichen Schaden anrichten können.
Ein Redner spricht konkret etwas an, was mich aufhören lässt. Er sagt, die Regierung würde während der aktuellen Haushaltssperre, die durch Meinungsverschiedenheiten über kurzfristige Finanzierungs- und Gesundheitsprogramme angeheizt wird, die Nationalparks und Naturresourcen „ausverkaufen“. Leider bleibt es bei dieser wagen Aussage. Ich schaue mir den Redner genauer an und sehe einen jungen Mann mit rot und grün gefärbten Haaren und einem schwarz-weißen Palästinensertuch. Er ist der einzige Redner, der nicht in normaler Tonlage spricht. Er BRÜLLT. So laut, dass seine Stimme nur verzerrt aus dem Mikrofon dringt. „Seid ihr wütend?“, schmettert er seinen Zuhörern entgegen. Und als die „JA!“ zurückrufen, lässt er sie das ebenfalls mehrmals skandieren. Eine ältere Frau tritt vor die Bühne und bittet ihn, nicht mehr so zu brüllen. Ohne Erfolg. Ich wundere mich noch, dass er alle möglichen Gruppen von Menschen aufzählt, denen Unrecht angetan wird, dann aber als erste über die LGBTQ-Community spricht. Das Fragezeichen löst sich für mich auf, als der Redner sagt, er seine eine Transgender-Frau. Er/sie endet seine/ihre Rede mit „Free Amerika! Free Palestine!“ Dazu passt, dass ich auf dem Hügel neben der Bühne ein Grüppchen stehen sehe mit einem Banner „Free Palestine!“. Wieder denke ich, ob die Transgender-Frau wohl daran denkt, dass sie/er von Islamisten in Gaza vermutlich gelyncht würde. So wie der 25-jährige Ahmad Hacham Hamdi Abu Marakhia, der nach Israel flüchtete, nachdem seine Homosexualität aufgedeckt worden war, dann aber im Oktober 2022 ins Westjordanland verschleppt und enthauptet wurde. Und denken die übrigen sich gewiss als „progressiv“ einschätzenden Palästina-Anhänger daran, dass so gut wie alle Frauen in Videos und TV-Berichten aus Gaza in einen Hijab gehüllt sind? Wissen sie, dass muslimische Frauen nur halb so viel erben wie ein Mann? Dass ein muslimischer Mann vier Frauen haben und seine Ehefrau mit wenigen Worten „scheiden“ darf – eine Frau aber keines dieser Rechte besitzt. Wie verträgt sich diese Diskriminierung von Frauen mit der Vorstellung von Gleichberechtigung der Geschlechter? Geschweige denn mit der Forderung nach einem Recht auf Abtreibung und nach „genderaffirmativer Care“? Die meisten Muslime, auch die in Gaza würden sich vermutlich entschieden gegen solche Rechte verwahren. Wo sind Menschen, die differenziert kritisieren?
„Progressiv denkende, gebildete Menschen halten sich für besonders offen und tolerant. Vergessen Sie das“, schreibt der Kabarettist und studierte Physiker Vince Ebert in seinem Buch „Wot Se Fack, Deutschland?“. Eine landesweite Umfrage des amerikanischen Marktforschungsunternehmen PredictWise habe im Jahr 2019 ergeben, dass die politisch intolerantesten Amerikaner in städtischen Bezirken anzutreffen seien, in denen sich die Bewohner als mehrheitlich linksliberal bezeichnen. „Sobald akademisch gebildete Intellektuelle zu einer bestimmten Meinung gekommen sind, sind sie trotz sachlicher Gegenargumente deutlich schwerer vom Gegenteil zu überzeugen als ungebildete“, zitiert Ebert aus der Umfrage. Je höher der Bildungsgrad, umso unverrückbarer und starrköpfiger verhielten sie sich in politischen Diskussionen und seien immer schlechter in der Lage, ihren eigenen Standpunkt zu hinterfragen, fügt er in seinem Facebook-Post hinzu.
Ob diese Charakterisierung auch auf die Teilnehmer der No Kings-Kundgebung hier in Bellingham zutrifft, kann ich nicht beurteilen. Sie erscheinen mir durchgehend als offene, friedliche, Gerechtigkeit und Freiheit liebende Menschen. Auf Schildern und in Worten verwahren sie sich gegen den Vorwurf von republikanischer Seite, Amerika-Hasser und keine Patrioten zu sein. Das Gegenteil sei der Fall, sagen sie: Sie würden auf die Straße gehen, weil sie die Demokratie und die Verfassung in Gefahr sehen und beide bewahren und verteidigen wollen. Ich nehme ihnen das ab.
Ich bezweifle allerdings, wie sie mit ihrer „altmodischen“ Agenda gegen einen Gegner gewinnen wollen, der den geballten „militärisch-digital-finanziellen Komplex“ auf seiner Seite hat, wie es der Wirtschaftsjournalist Ernst Wolff ausdrückt. Oder sind die Teilnehmer auf der No Kings-Kundgebung den Forderungen der Redner eine Nase voraus? Ich mache die Probe auf das Exempel und erwähne den digitalen Euro, dessen Einführung die Europäische Union für den 25. Oktober angekündigt hat. Und ich mache die Kurve zum digitalen Dollar und zu digitalen Zentralbankwährungen. Als Antwort ernte ich die Frage: „Was ist damit gemeint?“ Die Amerikaner mögen rebellischer sein als die Deutschen und wesentlich resoluter darin, ihre Rechte zu verteidigen. Wissender oder wacher sind sie aber offenbar nicht. Um so mehr freue ich mich, als ich auf dieser Demo etliche Schilder entdecke, die bei aller Ernsthaftigkeit mit ihrem Humor mich zum Lachen bringen.

