San Antonio, Teil 2: die jährliche „Schlacht der Blumen“
Es ist wieder Fiesta-Zeit in San Antonio. Elf Tage lang sind die Einheimischen aus dem Häuschen, verkleiden sich, feiern Parties und Paraden. Und ich erlebe das Treiben hautnah mit.

Dieses Mal steigt das größte Fest der Stadt in den letzten Apriltagen und reicht bis in den Mai hinein. Ich habe Glück mit dem Wetter: Die Temperaturen, die zu der Zeit üblicherweise bereits um die 35 Grad Celsius messen, sind angenehm mild. Ich decke mich trotzdem mit Sonnencreme ein, als ich mich auf den Weg zur King William-Parade mache. Sie soll, erzählen mir Freunde, die kreativste und ursprünglichste Veranstaltung der inzwischen doch sehr kommerzialisierten Fiesta sein – eine bunte Parade von lokalen Gruppen und Einzelpersonen, die sich mit mehr Kreativität als mit Geld herausputzen und verkleiden, und ihre Freude am Leben in ihrer Stadt zelebrieren.
Mehr als drei Millionen Menschen, lese ich, zieht es jedes Jahr während der elf Tage Fiesta zu den mehr als 100 Veranstaltungen, die in der ganzen Stadt und in Nachbarorten stattfinden. Ich treffe einen Touristen aus Seattle im Norden der USA an der Grenze zu Kanada, rund 3500 Kilometer, 32 Autostunden oder vier Stunden mit dem Flugzeug entfernt. Ich selbst bin ja auch zur Fiesta nach San Antonio gekommen. Die Erlöse aus Parties und Paraden kommen gemeinnützigen Projekten zu Gute. Insgesamt soll das Fest rund 340 Millionen Dollar in die Kassen der Community spülen.
Vielen der Feiernden ist vermutlich gar nicht klar, was sie eigentlich bei dem Fest mit dem mexikanischen Namen feiern: Die Fiesta erinnert an den texanischen Unabhängigkeitskrieg von Oktober 1835 bis April 1836, auch texanische Revolution genannt. Genau gesagt, an die Schlacht von Alamo, die in San Antonio stattfand, und in der die aufständischen Texaner von den mexikanischen Truppen geschlagen wurden – und an die Schlacht von San Jacinto, bei der im April 1836 der US-General Sam Houston die Armee der Texaner schließlich doch zum Sieg führte. Mit der Fiesta sollen all die texanischen Soldaten geehrt werden, die in diesen beiden Schlachten gefallen sind. Der Krieg wurde laut Historikern zumindest teilweise durch die Abschaffung der Sklaverei durch Mexiko ausgelöst.
Ihren Anfang nahm die Fiesta San Antonio mit der ersten Battle of Flowers Parade am 24. April 1891, als Frauen aus der Gegend Kutschen, Kinderwagen und Fahrräder mit frischen Blumen schmückten und sich gegenseitig mit Blumen bewarfen – daher der Name „Blumenschlacht“ oder „Schlacht der Blumen“. Die Parade ist noch heute der Höhepunkt einer jeden Fiesta. Sie wird auch nach wie vor ausschließlich von Frauen organisiert, unter dem Dach des gemeinnützigen Vereins Battle of Flowers Association, der 1891 gegründet und 1909 offiziell so benannt wurde. Die Mitglieder sind in charakteristischem Sonnengelb gekleidet, seit 1973 samt passendem Hut.

Auf ihrer Webseite schreiben die Frauen, seither würden bei der Parade „spektakuläre blumengeschmückte Festwagen mit Teilnehmern in farbenfrohen Kostümen, riesige Heliumballons, Pferdekutschen, Oldtimer, uniformiertes Militär, farbenfrohe Reiterprozessionen und Tausende von Studenten in Marschkapellen und Tanzgruppen“ die Besuchermassen unterhalten. Den Organisatorinnen zur Seite stehen Hunderte von ehrenamtlichen Helferinnen – und Helfern. Ein wahrhaftiges Spektakel, wo ich am Abend zuvor war. (Videos ©Rebecca Hillauer)
„Zeigt uns eure Schuhe!“ Dieser Ruf der Schaulustigen hat sich zu einer beliebten Tradition entwickelt. Ihr Ursprung ist im Mardi Gras in New Orleans zu finden, erzählt ein Freund. Dort hätten in den wilden 1960er und 70er Jahren Frauen auf Zuruf ihre Oberteile gehoben und ihre nackten Brüste entblößt. Im konservativen Texas hat man diese „Show“ abgeändert. Anders allerdings als in dem Märchen der Gebrüder Grimm, in dem Aschenputtel die einzige ist, der der zierliche goldene Schuh passt, wodurch sie als die richtige Braut erkannt wird: Die Fiesta-Königin von San Antonio und ihre Hofdamen, die auf einem Festwagen durch die Menge gleiten, lüpfen auf Wunsch der Zuschauer kokett den Saum ihrer glitzernden Abendroben… und enthüllen darunter teils kurioses Schuhwerk – von Cowboystiefel über Sneaker bis hin zu flauschigen Hausschuhen.


Auf ihrer Webseite beschreiben die Mitglieder des „Vereins der Blumenschlacht“ auch die Ziele, die sie mit ihrer Parade verfolgen: „… mit Stolz die Geschichte unseres Staates zu lehren und die patriotischen Traditionen von Texas und San Antonio lebendig zu halten“. Dies hat dem Verein einige Kritik eingebracht. Wie auch die gesamte Fiesta immer wieder ins Visier genommen wird. Ignoriert würden die zutiefst rassistischen Äußerungen zentraler Persönlichkeiten des historischen texanischen Aufstands gegen Mexiko. Und: Warum werde der Sieg über Mexiko mit mexikanischer Musik sowie mexikanischen Speisen und Getränken gefeiert? Die Fiesta, so die Vorwürfe verkürzt, würde in ihrer gegenwärtigen Form „weiße Vorherrschaft“ zelebrieren. Die Feierlichkeit sollte von ihrem kriegerischen Ursprung entkoppelt werden.
Über die Jahre hätten sich quasi zwei Fiestas heraus kristallisiert, schreibt das Online-Medium Axios aus San Antonio. Exklusive Gruppen, wie der Orden von Alamo, bei dem Weiße überwiegend unter sich seien, richte seine Feierlichkeiten auf Alamo aus – samt Krönung einer Königin, einer Prinzessin und von 24 Herzoginnen. Im Witte Museum in San Antonio können Besucher eine Sammlung von prunkvollen Krönungskleidern bestaunen, die die wechselnde Stile und Themen im Laufe der Geschichte veranschaulicht. Veranstaltungen wie etwa die Flambeau-Parade, das Austernbacken, die Fiesta de Los Reyes, die alle öffentlich sind, würden hingegen zu einem ungezwungenen multikulturellen Beisammensein einladen.

Ich folge also dem Rat meiner Freunde „Geh‘ zur King William Parade!“ und finde mich am nächsten Vormittag in einem der ältesten Viertel San Antonios wieder, King William. Der historische Bezirk ist für seine Häuser aus der viktorianischen Ära bekannt und benannt zu Ehren von Wilhelm I., König von Preußen, von einem der ersten deutschen Einwanderer, Ernst Hermann Altgelt, Das Gebiet wurde als „Sauerkraut Bend“ bekannt, da sich noch viele andere deutsche Einwanderer dort niederließen und die prächtigen Häuser bauten, die heute noch stehen. Sorgfältig renoviert.




Gleich zu Anfang begegne ich einer asiatisch aussehenden Frau, die ihr Häuschen und sich sonnengelb herausgesputzt hat, verziert mit vielen bunten Papierblumen. In ihre Farbe Sonnengelb hüllen sich auch Mitglieder des Vereins der Blumenschlacht und ihren Umzugswagen. Ich sehe viele hispanische Teilnehmer und Zuschauer. Frauen der Akademie für mexikanischen Volkstanz tragen traditionelle Kleider zur Schau und tanzen im Zug der Parade. Alle scheinen eine gute Zeit zu haben, diskriminiert fühlt sich allem Anschein niemand in dem bunten Treiben. Eine schwarze Königin (?), Prinzessin (?), Herzogin (?) mit glitzerndem Diadem im Haar sitzt in einem Cabrio und winkt den Schaulustigen zu, die entlang der Straße in Campingstühlen sitzen. (Video ©Rebecca Hillauer)
Hier geht alles gelassener zu als auf der pompösen „Blumenschlacht“-Parade. Weniger spektakulär. Dafür in meinen Augen mit fantasievolleren Kostümen. Und die Atmosphäre ist natürlich familiärer. Des öfters begrüßen und umarmen sich Leute, die sich von irgendwoher kennen, vielleicht Nachbarn oder Arbeitskollegen sind. Keine Frage: Ich fühle mich beim King William-Umzug wesentlich wohler. Alle Daumen hoch!







