Bomben auf den Jemen und eine Reise in die Vergangenheit
Eine Gruppe US-Politiker ordnet über Handy Bomben auf den Jemen an. Bei den TV-Bildern denke ich an meine zwei Reisen in das architektonisch wie landschaftlich faszinierende Land. Und an einen vergleichbaren Abhörskandal in Deutschland.

Angriffspläne – na und?
Wie es dazu kam, dass der Chefredakteur des US-Magazins Atlantic, Jeffrey Goldberg, am 15. März 2025 unerkannt auf dem Signal-Messenger in einen Chat mit dem Titel „Houthi PC Small group“ geriet, wird noch zu klären sein. Das Kürzel PC steht dabei für „Principals Committee“: Führende Vertreter der nationalen Sicherheit der US-Regierung diskutierten darin im Detail bevorstehende Militärschläge gegen die Huthi im Jemen. Kurz darauf fallen die Bomben. Und der Atlantic veröffentlicht die Chat-Beiträge. Die Affäre bekommt den Spitznamen „Signal-Gate“, nach dem Watergate-Skandal in den 1970er Jahren. Verteidigungsminister Pete Hegseth, einer der Beteiligten, ist mittlerweile erneut unter Beschuss, weil er in einem weiteren Gruppen-Chat vertrauliche Nachrichten mit seiner Frau, seinem Bruder und Rechtsanwalt geteilt haben soll. Laut des Nationalen Öffentlichen Rundfunks, NPR, sucht die Trump-Administration bereits einen Nachfolger.
Was die US-Medien in beiden Fällen heiß diskutieren: Waren die Inhalte des Geplauders „geheim“ oder nicht? Gefährdeten die Beteiligten die nationale Sicherheit? Demokraten fordern – natürlich – Rücktritte. Deutsche Medien stimmen in das Bashing der Beteiligten ein – und lassen dabei unerwähnt, dass vor einem guten Jahr in Deutschland ein ähnliches Debakel ans Licht gekommen ist: Am 19. Februar 2024 besprechen Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz, Brigadegeneral Frank Gräfe und zwei weitere Bundeswehroffiziere in einer Webex-Telefonkonferenz einen möglichen gemeinsam mit ukrainischen Militärs auszuführenden Angriff mit Taurus-Marschflugkörpern auf die Krim-Brücke. Der russische Geheimdienst hört das Gespräch ab, und der Staatssender Russia Today (RT) veröffentlicht den Audiomitschnitt im Internet. Verteidigungsminister Boris Pistorius wirft dem russischen Präsidenten Wladimir Putin daraufhin einen „Informationskrieg“ und einen „hybriden Angriff zur Desinformation“ vor. Hier wie bei dem aktuellen „Signal-Gate“ in den USA geht es vor allem darum, welche Inhalte besser hinter verschlossenen Türen geblieben wären, und ob die Gesprächsplattform richtig gewählt war. Die geleakten Angriffspläne selbst? Waren lediglich in regierungskritischen freien bzw. neuen Medien ein Thema.
Die Huthis
Die Huthis sind eine vom Iran unterstützte schiitische Miliz. Sie führte seit 2004 einen Bürgerkrieg gegen die sunnitische Regierung des Jemen und eroberte Ende 2014 die Hauptstadt Sanaa. Daraufhin begann am 26. März 2015, also vor zehn Jahren, eine vom sunnitischen Saudi-Arabien angeführte Militäroffensive. Saudi-Arabien ist der nördliche Nachbar des Jemen. Der Militärallianz gehörte unter anderem Ägypten an, logistisch unterstützt wurde bzw. wird sie von den USA, Frankreich und dem Vereinigten Königreich. Die deutsche Bundesregierung lieferte Rüstung im Wert von Milliarden Euro nach Saudi-Arabien. Neben Boden- und Luftangriffen setzte die Militärallianz auch eine Seeblockade ein, die nach Einschätzung der Vereinten Nationen die „schlimmste humanitäre Katastrophe unserer Zeit“ nach sich zog. Fast die Hälfte der Toten sind Zivilisten. Unter den Millionen Binnenflüchtlingen sind laut Medienberichten mehr als zwei Millionen unterernährte Kinder.
Seit dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 und Israels Gegenangriffen eskaliert der Krieg. Die Huthi beschießen regelmäßig Handelsschiffe auf der internationalen Seehandelsroute im Roten Meer und zerstörten sogar Gebäude in Tel Aviv – nach eigenen Angaben aus Solidarität mit den Palästinensern in Gaza. Deswegen bombardieren seit mehr als einem Jahr die USA und Großbritannien Huthi-Stellungen im Jemen sowie Ziele in der Hauptstadt Sanaa und in den Provinzen. So auch am 15. März 2025, dem Tag des geleakten Signal-Chats mit den Angriffsplänen. „Warum diskutieren sie diese Pläne eigentlich erst, nachdem die Entscheidung bereits gefallen ist?“, kritisiert Donald Trumps ehemaliger nationaler Sicherheitsberater John Bolton gegenüber CNN. Das allein zeige, was in dieser Regierung falsch laufe. Ansonsten? Die Angriffspläne selbst. Alles in Ordnung?
„Trump ist jetzt im Krieg mit dem Iran„, titelt dagegen am 18. März, also drei Tage nach dem Signal-Gate der US-amerikanische Journalist Ken Klippenstein auf seinem Substack-Blog. Der ehemaliger Redakteur des Online-Mediums The Intercept und Ex-Korrespondent der Wochenzeitung The Nation, ist überzeugt, dass die jüngsten US-Angriffe auf die Huthis nicht nur eine Fortsetzung der Politik der Vorgängerregierung Joe Biden sind. Am 28. Februar habe das US-Militär bekannt gegeben, dass zwei schwere B-52-Bomber von einem „nicht genannten Ort“ im Nahen Osten (Klippenstein behauptet, es handele sich dabei um Katar) Bomben auf einen anderen „nicht genannten Ort“ (Irak) abgeworfen hätten. Dies hätten die Machthaber in der benachbarten Islamische Republik Iran als ganz klare Botschaft an sie selbst interpretiert. In einer zweiten „Bomberdemonstration“ hätten am 9. März US-B-52 an der Seite israelischer Kampfjets Langstreckeneinsätze geflogen und gemeinsame Operationen geübt. „Wieder verpasste die amerikanische Presse die Geschichte“, schreibt Klippenstein, nicht aber die israelische Presse. Sie hätte korrekt über den wahren Zweck der Operation berichtet – „die Vorbereitung des israelischen Militärs auf einen möglichen gemeinsamen Schlag mit den USA gegen den Iran“. Auch wenn laut der New York Times diesbezügliche Pläne Israels erst einmal von der Trump-Administration zugunsten von Verhandlungen zurückgewiesen worden sind, ist ein Angriffsszenario noch lange nicht vom Tisch.
Sind die US-Angriffe gegen die Huthi also lediglich Scheingefechte? Eine Drohkulisse für den Iran? Und ist demzufolge der Jemen lediglich der Schauplatz eines Stellvertreterkriegs? Für die zivilen Opfer sicherlich kein Unterschied. Für sie ist jedes Bombardement desaströs. In dem geleakten Signal-Chat schreibt ein Teilnehmer nach den ersten Raketen: „Das erste Ziel – ihr [Huthi] Top-Raketenmann – wurde identifiziert, als er das Gebäude seiner Freundin betrat, das ist jetzt eingestürzt.“ Unter den Häusertrümmern ist höchstwahrscheinlich die besagte Freundin der Zielperson ebenfalls zu Tode gekommen. Ein Kollateralschaden, laut Kriegsvokabular.
Jemen in vergangenen Tagen
In mir steigt das Bild eines Mädchens auf, das ich bei meiner ersten Jemen-Reise auf einer Wanderung in den Bergen traf. Ihr Name ist mir längst entfallen, aber an ihre buschigen schwarzen Augenbrauen erinnere ich mich noch genau. Meinem Gedächtnis hilft auch das Foto, das ich von ihr machen durfte. Auf der Rückseite lese ich gestempelt ein Datum: September 1989.

Zu dem Zeitpunkt waren unsere beiden Länder noch jeweils durch eine interne Grenze geteilt. Deutschland in West und Ost, der Jemen in Nord und Süd. Und je ein Landesteil wurde sozialistisch regiert: in Deutschland der Osten, im Jemen der Süden. Kurz nach dem Mauerfall in Berlin im November 1989 vereinigten sich die beiden jemenitischen Staaten am 22. Mai 1990 zu dem heutigen Staat. Bei meiner zweiten Jemenreise konnte ich deshalb auch Aden besuchen, einst die Hauptstadt der Demokratischen Volksrepublik Jemen. Die Hafenstadt liegt 200 km westlich der Meerenge Bab al-Mandab (Tor der Tränen), die den Golf von Aden vom Roten Meer trennt. Auf der anderen Seite dieser Meerenge liegt Somalia. Ein „failed state“, in dem die islamistischen Shabab die Bevölkerung tyrannisieren. Scharen von Menschen wagen deshalb in windigen Booten die Überfahrt durch die Meerenge in den Jemen. In Aden konnte ich ein Flüchtlingslager besuchen, in dem übergesetzte Somalier mehr schlecht als recht auf bessere Zeiten warteten.






Sowohl im Norden wie im Süden weichen die Bergen am Meer der flachen Küste, und gen Süden einem subtropischen bis tropischen Klima und einer weniger strengen Kleiderordnung (zumindest zur Zeit meiner Reise).

Mein Herz schlug allerdings eindeutig für den Norden des Landes, den ich auf meiner ersten Reise erkundete, als das Land noch geteilt war. Auf dem Markt der damaligen und jetzigen Hauptstadt Sanaa kostete ich Heuschrecken. Sie schmeckten – wenig verwunderlich – nach ihrer Lieblingsspeise: Gras. Bei einem jüdischen Silberschmied kaufte ich einen wunderschönen ziselierten Ring und einen schweren Reif, der so groß war, dass ich ihn am Oberarm tragen konnte. Ob es jetzt noch jüdische Silberschmiede in Sanaa gibt?
Am liebsten wanderte ich in den Bergen. Nur selten traf ich Menschen. Angst hatte ich nicht, denn während der Jahre, die ich in Kairo lebte, war ich zu der Überzeugung gelangt: Wenn Muslime wahrhaft gläubig sind, tun sie mir nichts Böses an. Und zumindest im tiefreligiösen, aber nicht fanatischen Jemen von damals gaben meine Erfahrungen dieser Überzeugung recht. Auf meiner zweiten Reise, dreißig Jahre später, bei einem Spaziergang an der südjemenitischen Küste nahe Mocha bewarf mich eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen mit Steinen. Und in Sanaa musste ich ein schwarzes Schultertuch kaufen, um meinen Hals zu bedecken, denn das mitgebrachte, dezent gestreifte Tuch zog misstrauische und manchmal feindselige Blicke auf sich. Die Offenheit gegenüber Fremden wurde weniger. Aber damals, bei meinem ersten Aufenthalt, in den nordjemenitischen Bergen, lud Ali mich gastfreundlich in sein Haus ein, als ich bei einer Wanderung in den Bergen zufällig dorthin geriet. Auf den Fotos ist der Terrassenanbau erkennbar, der sich an den steilen Berghängen bewährt hat. Ali und seine Brüder trugen den traditionellen Krummdolch im Gürtel. Sie baten mich zu einem Tee ins Wohnzimmer, das mit Webteppichen ausgelegt war, auf denen wir saßen und uns gegen dicke Kissen lehnten, während Ali stolz seinen jüngsten Sohn präsentierte. Zum Abschluss durfte ich sogar mit den Frauen des Hauses Wasserpfeife rauchen.






Unvergesslich die typischen Häuser des Nordjemen, die majestätisch auch auf den steilsten Bergkuppen und Felsen thronen.


Für die Fahrten über die schmalen Bergpisten mit klapprigen alten Bussen oder ausgedienten Jeeps brauchte es gute Nerven. Wenn ich die dicke Backe eines Fahrers sah, atmete ich tief durch. Denn das bedeutete, dass der Mann eine Kugel Kath-Blätter kaute und, eingespeichelt in seiner Backe, auf seinen Geist wirken ließ, während er das sowieso altersschwache Gefährt mit uns Fahrgästen darin entlang der steilen Berghänge manövrierte. Kath ist ein einheimischer Busch, dessen Zweigspitzen und junge Blätter, gekaut, anregen wie Kaffee und das Hungergefühl reduzieren. In Menge und lange gekaut, wirkt Kath durchaus wie eine berauschende Droge. Während wir so eine Piste entlang schaukelten und ich durch das Fenster in die Tiefe eines Tals hinunterblickte, machte ich mir selbst Mut, indem ich dachte, dass der Fahrer ja immerhin so alt geworden war… und noch älter werden wollte. So wie ich auch.


In einer Herberge irgendwo auf dem Land aß ich das beste „Ful“- (Bohnen)-Frühstück meines Lebens, mit Tomaten und Zwiebeln und noch warmem Fladenbrot. In der Nähe eines Dorfes traf ich zwei Hirtenmädchen mit einem neugeborenen schwarzen Lamm und die Kinder zweier Ehefrauen desselben einen Mannes.



Erinnerungen an ein inzwischen von Bürgerkrieg und Bomben heimgesuchtes Land. Für meine erste Jemen-Reise gilt für mich bis heute: Sie hat mich mit zutiefst empfundenen Eindrücken beschenkt.