Kommentar Reisen

Hauptstadt des Verfalls

Berlin: Beobachtungen während eines „Heimaturlaubs“

Eindrücke aus Berlin-Neukölln von der Verwahrlosung des Stadtteils
Obdachlose Berlin-Neukölln, Sonnenallee ©Rebecca Hillauer

BERLIN: Hier habe ich noch eine Wohnung. Und hier wohne ich, wenn ich nicht in den USA bin. Bald werde ich wieder fliegen. Aber noch bin ich in Berlin – und staune. Staune über das, was politisch und sozial in diesem Land vorgeht. Ich bin entsetzt.

Sobald ich aus der Haustür trete, dreht mein Magen sich um wegen des Mülls auf den Straßen. Überall campieren Obdachlose. Das ist Berlin-Neukölln. Zugegeben, eine besondere Ecke: Einst beliebt bei Arbeitslosen, dann „hip“ bei Künstlern und Studis. Nun wohnt in den teils gentrifizierten Häusern in den Seitenstraßen das „normale Volk“, während die Hauptstraße – die durch den gleichnamigen Spielfilm über Berlin hinaus bekannt gewordene „Sonnenallee“ – zur arabischen Einkaufsmeile geworden und, ich wage zu sagen, „verkommen“ ist.

Ismail, der vor vierzig Jahren aus dem Libanon gekommen war und die Baumscheibe vor unserer Haustür mit Blumen und Kräutern bepflanzte, ist weggezogen. „Es ist so dreckig geworden hier“, hatte er geklagt. Von seinem Blumenbeet ist nichts mehr übrig, dort türmt sich jetzt wieder der Müll, befeuert durch den arabischen Supermarkt an der Ecke. Als Hassan noch sein Blumenbeet goss, fischte ich den Müll heraus. Nun ist er weg, und ich bin hier quasi nur auf einem Zwischenstopp. Deshalb sehe ich dem Verfall zu, ohne etwas dagegen zu tun. Es schmerzt. Auch das Hochbeet, das Hassan, der Ladenbesitzer um die Ecke, bepflanzt hatte, ist wieder ein großer Mülleimer… Die Kunden würfen alles auf die Straße, wie sie es von Zuhause in Syrien, Palästina, im Libanon, usw. gewohnt seien, sagten die Ladeninhaber, die ich auf den Müll ansprach. Sie hätten eine ganze Weile versucht, den Gehweg vor ihrem Laden sauber zu halten, beteuerten sie – und es dann aufgegeben.

Ich poste nur Fotos, bei denen mein Magen sich nicht gleich umdreht.

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