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Mehr Geld = mehr Entwicklung?

Gastbeitrag von Volker Seitz zur Kontroverse um die USAID

Präsident Donald Trump hat eine 90-tägige Pause bei der Entwicklungshilfe – mit Ausnahme der humanitären Hilfe – angeordnet, bis die Effizienz und die Übereinstimmung mit der US-Außenpolitik beurteilt worden seien. Deutschland sollte sich daran ein Beispiel nehmen, meint der Gastautor.

Kontinente Puzzle ©geralt / pixabay

Von Volker Seitz

Politikberater („Deputy chief of staff for policy“) Stephen Miller begründet die Auflösung der United States Agency for International Development (USAID):

„Es gibt in der Regierung wahrscheinlich keine Institution, die ein stärker verankertes Machtzentrum nicht gewählter Bürokraten mit weniger Rechenschaftspflicht und weniger Kontrolle ist als USAID. Sie schleusen Geld an ihre Kumpane in der ganzen Welt durch ein sumpfiges Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen und Hilfseinrichtungen, darunter einige potentiell sehr beunruhigende Elemente, die sich auf Dinge wie Regimewechsel und die Destabilisierung fremder Länder konzentrieren.“

Donald Trump zerstöre die Demokratie nicht: Er restauriere sie, sagt Miller.

Die Behörde wird als unabhängige Institution aufgelöst und Teile ins Außenministerium eingegliedert, um die Übereinstimmung mit der US-Außenpolitik herzustellen. Außenminister Marco Rubio nannte USAID völlig unkooperativ und beschuldigte Mitarbeiter „nicht bereit zu sein, einfache Fragen“ zu Programmen zu beantworten.

USAID wird auch seit Jahrzehnten verdächtigt, unter dem Deckmantel der Entwicklungshilfe CIA-Operationen zu unterstützen (zum Beispiel die Bewaffnung der Mudschaheddin in Afghanistan im Kampf gegen die damalige kommunistische Regierung oder die Rolle von USAID während der Corona-Pandemie). Die Behörde hatte ein jährliches Budget von 42,8 Milliarden Dollar zur Verfügung.

Auch in Deutschland fehlen Kontrollinstrumente

Warum wird diese Maßnahme in Deutschland verurteilt? Wäre es so schlimm, wenn die neu gewählte deutsche Regierung die jahrelange Geldflutungspolitik unserer Wohltätigkeitsindustrie (derzeit 33,9  Milliarden Euro, davon allein bilateral über 11,5 Milliarden Euro1) kritisch überprüfen würde? Und das nicht nur in Afrika, das immer noch größter Empfänger der so genannten Entwicklungshilfe ist?

Seit Jahren fordere ich – aus meinen Erfahrungen in Afrika  und Armenien – , eine Eingliederung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in das Auswärtige Amt. Alle Aktivitäten der deutschen Regierung im Ausland müssen sich einfügen in unsere Gesamtbeziehungen zu dem betreffenden Land. Wir sind das einzige Land, das sich noch ein Entwicklungsministerium leistet. Eine Integration des BMZ in das Auswärtige Amt könnte viele Reibungsverluste und Steuerzahlergeld sparen.

Das Kernproblem

Die Wurzeln der anhaltenden Armut in Afrika liegen in der demografischen Entwicklung, die Wohlstandsgewinne vereitelt. Es bedarf einer verlässlichen Regierungsführung, die nicht korrupt ist, Zusagen einhält, im Rohstoffsektor transparent agiert und illegale Finanzflüsse unterbindet. Afrikaner wie Themba Sono, Wole Soyinka, Andrew Mwenda und George Ayittey sind überzeugt, dass Wohlstand nicht durch milde Gaben entsteht, sondern durch unternehmerische Kreativität, Arbeit, Innovation – und durch gute staatliche Rahmenbedingungen.

[Video mit deutschen Untertiteln]

Das Problem der so genannten Entwicklungshilfe ist einfach gesagt: Wir helfen Menschen nicht, dass diese so bald keine Hilfe mehr brauchen. Die Menschen stehen daneben und sehen zu, wie ihnen bestenfalls Entwicklungsergebnisse serviert werden, mit denen sie nichts zu tun haben, die sie nicht selber erarbeitet haben – und die sie deswegen häufig nicht annehmen und unterhalten wollen.

Die „Helferindustrie“

„Gut gemeint“ ist bekanntlich oft das Gegenteil von gut gemacht. Die Betroffenen werden selbst nicht gefragt, wie sie zur Entwicklungshilfe stehen und was ihnen ihrer Meinung nach helfen könnte. Afrikaner als Mündel zu betrachten, ist die unausgesprochene Geschäftsgrundlage der allermeisten „Projekte“. Die Liste der Kritiker klassischer Entwicklungshilfe ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Einzelne Hilfsprojekte mögen sinnvoll sein, aber Projekte ersetzen keine Strukturen.

Es gibt immer noch ein unübersehbares Netz von staatlichen und privaten Hilfsagenturen, die alle „helfen“ wollen. Unzählige „Projekte“ oder „Programme“ wurden als Fremdkörper in den Ländern durchgeführt. Wie ich in meinen 17 Jahren in verschiedenen afrikanischen Ländern immer wieder beobachten konnte, haben diese Projekte kurz nach ihrem Ende keine nachhaltigen Spuren hinterlassen. Sie haben die Menschen abhängig gemacht, sie an den Zustand der stetigen Hilfe gewöhnt und so die Eigeninitiative behindert. Während ihrer Laufzeit waren sie erfolgreich, da es an Geld für Betriebsmittel, Fahrzeuge und hohe Gehälter nie gemangelt hat.

Würde es unabhängige Wirksamkeitskontrollen geben, müssten unzählige Durchführungsorganisationen ihre Arbeit einstellen. Aber ohne Entwicklungsprojekte und Aktivitäten sogenannter Nichtregierungsorganisationen wäre vor allem die Arbeitslosigkeit unter den Helfern besorgniserregend. Ich habe nicht den Eindruck, dass sich die Akteure der „Entwicklungshilfe“ je fragen, ob ihr „Produkt“ bei den Bedürftigen in Afrika ankommt, gebraucht oder verstanden wird. Hilfe darf die Leistungsbereitschaft nicht untergraben. Doch die Hilfsindustrie scheint immun gegen Rückschläge zu sein – das Geld muss um jeden Preis ausgegeben werden.

Die Helferindustrie hat mehr Geld zur Verfügung, als sinnvoll ausgegeben werden kann. Immer mehr Mittel zu fordern, ohne Sanktionen bei Verstößen gegen Menschenrechtsklauseln oder Transparenzregeln, schadet den Menschen in Entwicklungsländern. Das rituelle Beschwören des 0,7-Prozent-Ziels – also des Anteils des Bruttonationaleinkommens (BNE), der für Entwicklungshilfe bereitgestellt werden soll – ist an Ideenlosigkeit kaum zu überbieten. Es suggeriert fälschlicherweise, dass „mehr Geld = mehr Entwicklung“ bedeutet. Mit weniger Geld, gezielt eingesetzt in förderwürdigen Ländern mit rechtsstaatlicher Führung, könnten wir die Empfängerländer endlich in die Unabhängigkeit von entwürdigender Hilfe entlassen.

Eigenverantwortung, um Wohlstand zu schaffen

Wohltätigkeit besiegt nicht die Armut. Spontane Solidarität nach verheerenden Naturkatastrophen und Spenden für Nothilfe sind unstrittig. Doch in der Entwicklungshilfe müssen wir den Mut haben, Fehler einzugestehen und Wege, die nicht funktionieren, zu verlassen. Für viele Länder in Afrika war der Weg der klassischen Entwicklungshilfe falsch. Vielleicht nicht in jedem Fall, aber sie hat nicht die gewünschten Erfolge erzielt. Meines Erachtens sind Ermutigung und Stärkung der Eigenverantwortung die besten Rezepte, um Wohlstand zu schaffen. Die Betroffenen müssen es allerdings auch wollen.

Afrika wird erst dann ein Hoffnungskontinent, wenn ernsthafte wirtschaftliche Reformen umgesetzt werden, die innerafrikanischen Märkte geöffnet, Investitionsgesetze verbessert, das Bildungs- und Gesundheitssystem gestärkt und korrupte Eliten zur Rechenschaft gezogen werden. Ein Großteil der Entwicklungshilfe, die wir in den letzten 60 Jahren nach Afrika geleistet haben, hat nicht den gewünschten Effekt erzielt, weil sie die Menschen in ihrer Unselbstständigkeit bestärkt hat. Das System ächzt, wird aber gegen Kritik abgeschottet. Die Betreuungsindustrie hat die Tendenz, den Afrikanern vorzuschreiben, wie sie leben sollen. Dieser Paternalismus entmündigt die Menschen. Warum wird ihnen immer wieder eingeredet, dass sie ihre Probleme nicht selbst lösen können?

Die Frage, ob Hilfe schaden kann, wird selten gestellt. Welche Hilfsorganisation hat je das Ziel formuliert, sich überflüssig zu machen? Das Bild Afrikas wird von Hilfswerken und Helfern geprägt, die Entwicklungshilfe als Lebensaufgabe betrachten.

Entwicklungshilfe zementiert oft bestehende Machtstrukturen, fördert Korruption und Umweltzerstörung. Afrikas Entwicklung kann nur aus Afrika selbst kommen – durch Bildung, Investitionen in Landwirtschaft und kleine Betriebe, mehr lokale Wertschöpfung und freien Handel.

Dieser Text ist ein Mix aus zwei Artikeln, die erstmals auf Deutsch im Mittelrhein-Deutschen Tagblatt und auf Achgut erschienen. Ich habe Links und Fußnote gesetzt.

Volker Seitz war für das deutsche Auswärtige Amt siebzehn Jahre als Botschafter in Afrika. Er gehört zum Initiativkreis des „Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe“ und ist Autor des Bestsellers Afrika wird armregiert (dtv, 11. Auflage).


Gastbeiträge geben nicht automatisch die Meinung der Blog-Betreiberin wieder.


Anmerkung: Während meiner eigenen Zeit als Beraterin in einem Entwicklungshilfeprojekt der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ, jetzt GIZ), dem Äquivalent zu USAID, in Ägypten, hörte ich von einheimischen wie ausländischen Fachkräften immer wieder, dass die gut dotierten Jobs bei USAID äußert begehrt seien, und auch üppige Hilfsgelder verteilt würden, aber die implementierten Projekte sich als wenig effektiv und nachhaltig erwiesen.

  1. Deutschland gilt international als Spitzenreiter und gibt prozentual mehr Geld für Entwicklungshilfe aus als die USA. ↩︎
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