Afghanistan: Frauenrechte werden weiter eingeschränkt.
Die systematische Auslöschung von Frauen aus dem öffentlichen Leben schreitet mit einem neuen Dekret der Taliban weiter voran. Dennoch finanzieren etwa die USA und Deutschland weiter Projekte der humanitären Hilfe. Was sagen afghanische Frauenrechtlerinnen dazu?
Aktuell
Frauen dürfen unter keinen Umständen mehr durch die Fenster eines Hauses von außen zu sehen sein. Wenn die Küche ein Fenster hat, dürfen sie in dessen Nähe nicht einmal kochen. So lautet die jüngste Hiobsbotschaft aus Afghanistan. Mit einem neuen Erlass verbieten die Taliban-Führer den Einbau von Fenstern in Wohnhäuser, durch die von Frauen genutzte Bereiche einzusehen wären. Neubauten sollen demnach keine Fenster haben, durch die man „den Hof, die Küche, den Nachbarsbrunnen und andere Orte, die gewöhnlich von Frauen benutzt werden“, sehen kann. Denn: „Frauen bei der Arbeit in der Küche, im Hof oder beim Wasserholen aus dem Brunnen zu sehen, kann zu obszönen Handlungen führen“, heißt es in dem Erlass. Bei bestehenden Fenstern sollen die Besitzer ermutigt werden, eine Mauer zu bauen oder die Aussicht zu blockieren, „um Belästigungen der Nachbarn zu vermeiden“.
Das aktuelle Dekret ist das letzte in einer langen Reihe von Verboten. Im August hatte ein neues „Tugendgesetz“ festgelegt, dass Frauen sich öffentlich und in Anwesenheit von nicht verwandten Männern gänzlich mit schwarzem dicken Tuch verhüllen müssen, nicht einmal ihre Hände dürfen sichtbar sein. Zudem hatte der Religionsführer abgesegnet, dass EhebrecherInnen und Homosexuelle wieder öffentlich gesteinigt werden dürfen (siehe mein Bericht). Frauen dürfen weder Geräusche machen noch miteinander sprechen – nicht einmal im Haus. Ein Post auf X zählt noch andere Restriktionen auf, die die Taliban seit ihrer Machtübernahme im August 2021 verfügt haben. Den afghanischen Frauen ist nun verboten,
- eine höhere Schule oder Universität zu besuchen
- im öffentlichen Dienst zu arbeiten
- an einer Demonstration teilzunehmen
- ins Ausland zu reisen
- ein Auto zu fahren
- allein reisen
- in einem Taxi zu fahren
- in der Öffentlichkeit zu sprechen
- im Haus laut zu sprechen
- zu singen
- den Koran in der Öffentlichkeit laut zu lesen
- mit einem männlichen Arzt zu sprechen
- Sport zu treiben
- ein Fitnessstudio zu besuchen
- in den Park zu gehen
- helle Kleidung zu tragen
- hohe Absätze zu tragen
- Männer anzusehen, die sie nicht kennen
- ihr Gesicht in der Öffentlichkeit zu zeigen
- ein Smartphone zu besitzen.
Wie viele Männer zumindest in den heimischen vier Wänden ihren Ehefrauen zur Seite stehen werden, um deren Eingesperrtsein und die Rechtlosigkeit zu ertragen? Und wie viele werden eventuell sogar gegen deren Entrechtung rebellieren? Vermutlich wenige – wegen des Drucks und der Bedrohung durch die Taliban. Außerdem glauben viele, was die Taliban lehren, zum Beispiel dass Frauen weniger Verstand hätten und keine guten Gläubigen seien, wie ein Mann in einem Post auf „X“ sagt. Eines der wenigen Gegenbeispiele ist Ismail Mashal, ein Professor der Universität Kabul. In einem Post auf „X“ zerreißt er während einer Live-Sendung seine Diplome, um gegen das Verbot der Universitätsausbildung von Frauen durch die Taliban zu protestieren.
Urlaubsziel Afghanistan
Während die öffentliche Auslöschung der afghanischen Frauen fortschreitet, berichtet die New York Times darüber, dass die Taliban um Touristen werben – und eine wachsende Zahl von Abenteuerlustigen diesem Ruf folgen. 14.500 seien bereits gekommen, unter anderem aus China, Russland, Irland, Polen, Kanada, Taiwan, Deutschland, Frankreich, Pakistan, Estland, Schweden. Unter ihnen auch einige Frauen. Sogar US-Amerikaner seien willkommen, sagt Khobaib Ghofran, der Sprecher des Ministeriums für Information und Kultur. Touristinnen müssten keine Burka tragen oder ihr Gesicht bedecken, sollten jedoch aus Respekt lange, verdeckende Kleidung tragen und ihr Haar mit einem Kopftuch bedecken. Männer sollten sich „bescheiden“ kleiden. Ansonsten könnten sie sich frei bewegen und sicher fühlen. Im Mai 2024 wurden allerdings drei spanische Touristen in der Provinz Bamiyan getötet, wo sich die Reste der von den Taliban 2001 zerstörten zerstörten monumentalen Buddha-Statuen befinden – jetzt ein begehrtes Touristenziel.
Hilfsgelder
Die harte Währung, mit der die Touristen ins Land kommen und ihr Visum (laut New York Times 130 Dollar) bezahlen. wird dringend gebraucht von der Taliban-Regierung. Nachdem sie im Jahr 2022 Frauen verboten hatte, bei ausländischen Nichtregierungsorganisationen tätig zu sein, stellten mehrere Hilfsorganisationen ihre Arbeit vor Ort ein. Auch viele Regierungen setzten ab August 2021 ihre Hilfsgelder aus. Allerdings nur direkt an die Taliban-Regierung. Die USA etwa haben seit der Machtübernahme der Taliban rund 2.8 Milliarden US-Dollar für humanitäre Hilfe in Afghanistan bereitgestellt. Die Gelder werden laut offizieller Lesart durch Hilfsorganisationen direkt an das afghanische Volk verteilt, um die Taliban zu umgehen. Die deutsche Bundesregierung hat ebenfalls die bilaterale staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit der Taliban-Regierung ausgesetzt. Zugleich hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) für die Unterstützung der afghanischen Bevölkerung seit 2021 gut 450 Millionen Euro bereitgestellt. Diese Förderung erfolge ausschließlich regierungsfern über internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen, versicherte die Pressestelle des BMZ auf meine Anfrage im August 2024, als die Taliban im Rahmen des „Tugendgesetzes“ die Steinigung reaktivierten. In der E-Mail des BMZ heißt es:
„Die weitere Verschärfung der frauenfeindlichen Politik der Taliban ist furchtbar. Sie reiht sich leider ein in das Vorgehen des islamistischen Regimes seit der Machtübernahme, das Frauen und Mädchen gezielt ausgrenzt. Mit einem solchen Regime kann keine Zusammenarbeit stattfinden.
Gleichzeitig ist es gerade in dieser Situation wichtig, die Frauen und Mädchen, (..) nicht im Stich zu lassen und sie durch rigoroses Abwenden noch zusätzlich zu isolieren. Deutschland ist daher nach dem Grundsatz „Mit Frauen für Frauen“ weiter entwicklungspolitisch in Afghanistan aktiv. Das bedeutet, dass das BMZ sich ausschließlich dort engagiert, wo Frauen weiterhin arbeiten können, und Frauen und Kinder erreicht werden. Die geförderten Maßnahmen umfassen zum Beispiel den Aufbau von Gesundheitsstationen, die Stärkung von Mutter-Kind-Ernährung, die Ausbildung von Hebammen.“
Nach dem Korruptions-Index von „Transparency International“ stand Afghanistan im Jahr 2023 auf Rang 162 von 180 Staaten. Der ehemalige US-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Steve Brooking, monierte bereits vor der Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 mangelnde Transparenz bei der Verwendung von Hilfsgeldern und Korruption. Und auch die deutschen Hilfsmaßnahmen sind seither in die Kritik geraten. Mangelnde Intransparenz und dürftige Kontrollmechanismen, so der Vorwurf, würden es ermöglichen, dass Missbrauch und Korruption kaum feststellbar sind. Für die Durchführung sogenannter Entwicklungshilfeprojekte ist die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zuständig. In Afghanistan führt sie ein Projekt zur „Förderung der beruflichen Bildung“ durch, das der „Ausbildung von Hebammen, Physiotherapeutinnen und -therapeuten, Orthopädietechnikmechanikerinnen und -mechanikern sowie der Fort- und Weiterbildung in traditionellen Handwerksberufen“ dienen soll. Laut eines Medienberichts nennt die Bundesregierung aus Sicherheitsbedenken die Namen der Partnerorganisationen in Afghanistan nicht öffentlich, sondern nur dem Deutschen Bundestag. Die Partnerorganisationen würden aber verpflichtet, keine Projektgelder über die De-facto-Regierung der Taliban zu leiten und Versuche der Einflussnahme zu melden. Alle Partnerorganisationen hätten zudem „interne Kontrollmechanismen zur Überprüfung der Mittelverwendung“. So sehr die Sicherheit des afghanischen Personals dieser Projekte sichergestellt werden muss, so sehr ist anzunehmen, dass die Taliban über ausländische Hilfsprojekte genauestens informiert sind. Warum, so fragen sich viele, werde dann die Öffentlichkeit im Dunkeln gelassen, die mit ihren Steuergeldern die Projekte vor Ort finanziert.
Afghanische Frauenrechtlerinnen
Für eine Radiobericht zum ersten Jahrestag der Machtübernahme der Taliban interviewte ich im Jahr 2022 einige afghanische Frauenrechtlerinnen, die nach Deutschland geflohen sind, aber weiterhin enge Kontakte in ihre Heimat unterhalten. Sie erzählten mir, private Spendengelder aus dem Ausland würden von den Taliban „verteilt“, bevor sie bei der Not leidenden Bevölkerung ankommen könnten. Eine Aktivistin war Mitglied der Revolutionary Association of the Women of Afghanistan, RAWA. Die Frauenrechtsorganisation wurde 1977 in Kabul gegründet. Ihr Ziel ist ein demokratisch regiertes Afghanistan sowie die Trennung von Religion und Staat. Diese Agenda macht die Mitglieder zur Zielscheibe für Fundamentalisten. Die Gründerin, Meena Keshwar Kamal, wurde 1987 ermordet. Auch heute leben viele Mitglieder im Untergrund. Ebenso geheim halten sie ihre Schulen für Mädchen im Land und ihre mobilen Gesundheitsteams. Die RAWA-Aktivistin, die sich in meinem Beitrag Samia Walid nannte, widersprach der Position des BMZ aufs Entschiedenste:
„Wenn die Europäische Union und die Vereinten Nationen den afghanischen Frauen wirklich helfen wollen, dürfen sie keinen Kontakt zu den Taliban haben. Dürfen sie nicht zu internationalen Treffen oder Konferenzen einladen. Und ihnen kein Geld geben. Denn all diese humanitäre Hilfe unterstützt eben nur die Taliban. Außerdem werden die Menschen und vor allem die Männer im Land erst rebellieren und sich gegen die Taliban erheben, wenn es ihnen richtig schlecht geht.“
Samia Walid, Rawa
Erfahrungswerte
Ich maße mir kein Urteil an, welche Position die richtige ist. Ich nehme allerdings an, dass Afghaninnen die Lage in ihrem Heimatland und die Mentalität ihrer Landsleute besser einschätzen können als deutsche Politiker und Beamte.
Bereits Anfang Dezember 2024 verboten die Taliban Frauen auch eine medizinische Ausbildung. Damit entfiel unter anderem die Ausbildung von Hebammen im Hilfsmaßnahmen-Katalog der GIZ, den die Pressestelle des BMZ in ihrem Schreiben vom August als Beispiel dafür genannt hatte, warum die Bundesregierung weiter in Afghanistan entwicklungspolitisch tätig ist. Ich fragte daher nochmals nach, ob aufgrund des neuen Verbots der Taliban sich in der Förderungspraxis des Ministeriums etwas geändert hätte, und erhielt folgende Antwort:
„Die weitere Verschärfung der frauenfeindlichen Politik der Taliban ist furchtbar. Sie reiht sich leider ein in das Vorgehen des islamistischen Regimes seit der Machtübernahme, das Frauen und Mädchen gezielt ausgrenzt. Mit einem solchen Regime kann keine entwicklungspolitische Zusammenarbeit stattfinden.
Zugleich ist es gerade in dieser Situation wichtig, Frauen und Mädchen, denen von der de-facto Regierung in ihrem eigenen Land Perspektiven willentlich verbaut werden, nicht im Stich zu lassen und durch rigoroses Abwenden nicht noch zusätzlich zu isolieren. Deutschland ist daher nach dem Grundsatz „Mit Frauen für Frauen“ derzeit weiter entwicklungspolitisch aktiv in Afghanistan. Das bedeutet, dass sich das Entwicklungsministerium (BMZ) ausschließlich dort engagiert, wo Frauen weiter arbeiten können und wo Frauen und Kinder erreicht werden.
Das BMZ beobachtet die dynamische Lage vor Ort intensiv, inklusive eines sehr engen Monitorings der entwicklungspolitischen Projekte. Dafür steht das BMZ im engen Austausch innerhalb der Bundesregierung, gleichgesinnten Partnern der internationalen Gemeinschaft und Organisationen der Vereinten Nationen sowie Nichtregierungsorganisationen, die für das BMZ Projekte umsetzen.“
Zwei Absätze also so gut wie identisch mit der Antwort des BMZ von vier Monaten. Nicht mehr erwähnt wird die Ausbildung von Hebammen, nach der ich gefragt hatte – ohne weitere Erklärung. Unterm Strich: eine schwammige Antwort auf meine konkrete Frage. Viel leere Luft. Viel Blabla. Zitiert lediglich, um zu verdeutlichen, warum ich es für müßig halte, Pressestellen von Ministerien anzuschreiben, und dies nur der Ausführlichkeit halber tue. Denn leider ist das Beispiel des BMZ nur eines von vielen, die ich aus meiner journalistischen Praxis nennen könnte. Und aus meiner Erfahrung als ehemalige Beraterin in einem Hilfsprojekt der GTZ, der Vorläuferin der GIZ, kann ich nur davor warnen, auf interne Kontrollmechanismen zu vertrauen.