Gastbeitrag der Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte
10. Dezember: Internationaler Tag der Menschenrechte. In Oslo erhält die japanische Organisation Nihon Hidankyo den Friedensnobelpreis. Die Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki kooperieren mit indigenen Opfern von Atombombenversuchen.
Von Monika Seiller
Internationaler Menschenrechtstag
Unter dem Thema „Unsere Rechte, unsere Zukunft, JETZT“ steht der Internationale Menschenrechtstag 2024. Das Motto verweist auf die Dringlichkeit zum Schutz der Menschenrechte weltweit. UN-Generalsekretär Antonio Guterres sieht deren Einhaltung in Gefahr, wenn er in seinem aktuellen Statement warnt: „Human rights are under assault.“ (Menschenrechte sind unter Beschuss) Beispiele finden sich täglich in den Meldungen und Schlagzeilen. Dazu zählen auch die Angriffe gegen indigene MenschenrechtsverteidigerInnen.
Als die Als die Menschenrechtserklärung am 10. Dezember 1948 verabschiedet wurde, wurde sie zurecht als Meilenstein der universellen Menschenrechte gefeiert, und Guterres verweist in seinem Statement stolz darauf, dass sie in 577 Sprachen der Welt übersetzt wurde. Heute –mitten in der UN-Dekade der indigenen Sprachen – darf darin erinnert werden, dass viele der indigenen Sprachen bedroht sind. Ebenso wie ihre Kulturen, ihre Lebensweisen und ihr Land – nicht zuletzt durch die Nuklearisierung. Jahrzehnte lang testeten die USA ihre Atombomben auf dem Land Indigener Völker. Und seit dem vergangenen Jahr wird wieder Uran am Grand Canyon gefördert, das nicht nur für die zivile Nutzung bestimmt ist, sondern auch für Atomwaffen.
Friedensnobelpreis
Mit der Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises am 10. Dezember 2024 an Nihon Hidankyo wird den Hibakusha, den Überlebenden der ersten Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki, eine längst überfällige Anerkennung zuteil. Seit Jahrzehnten erheben sie ihre Stimme als MahnerInnen gegen den atomaren Wahnsinn. Gegründet wurde die Organisation 1956, um die Erinnerung an die Opfer der Atombomben – rund 120.000 starben – wachzuhalten und künftige Generationen vor den Gefahren der atomaren Rüstung zu warnen. Es ist traurig und zugleich beschämend, dass ihnen erst jetzt – fast 80 Jahre nach den Atombomben – Anerkennung gezollt wird. Heute ist das Thema wieder hochaktuell, zumal die Zerstörungskraft der weltweiten Atomwaffen inzwischen ein Vielfaches höher liegt.
Schon früh suchten die Opfer der Atombomben in Japan und die indigenen Opfer der Nuklearisierung, u.a. aus den USA und Kanada, die Zusammenarbeit, um die Öffentlichkeit an die Gefahren zu erinnern und einen Frieden ohne Atomwaffen zu fordern. Noch immer kämpfen die Opfer der Atomtests in den USA um Entschädigung – ob das Gesetz zur Verlängerung und Erweiterung des „Radioactive Compensation Act“ den Kongress passiert, ist nach der jüngsten US-Wahl mehr als ungewiss.
White House Tribal Nations Summit
Am 09.12.2024 lud Präsident Biden die Vertreter der Tribal Nations zum letzten White House Tribal Nations Summit unter seiner Regierung nach Washington ein. Das Treffen der Regierung mit den Vertretern der 574 anerkannten Tribes wurde von Bidens demokratischen Vorgängern ins Leben gerufen. Bill Clinton hatte die Indigenen zwei Mal während seiner Amtszeit nach Washington eingeladen, Barack Obama etablierte während seiner Präsidentschaft 2008 die jährliche „White House Tribal Nations Conference“, und Joe Biden unterstrich die Bedeutung der besonderen „nation-to-nation“-Beziehung, indem er das Treffen in den Rang eines Gipfeltreffens erhob.
Da es sich diesmal um ein „Abschiedstreffen“ mit den Indigenen handelt, blickte Präsident Biden eher in die Vergangenheit als in die Zukunft, die nun in der Hand des künftigen Präsidenten Donald Trump liegen wird, welcher die Treffen während seiner ersten Amtszeit einfach aussetzte. Die Indigenen fürchten, dass sie unter der neuen Regierung den in den letzten Jahren verstärkten Zugang zu den verschiedenen Ebenen der Regierung und damit Einfluss verlieren könnten. Vor allem die gewachsene Präsenz der Indigenen innerhalb der Administration –nicht zuletzt durch die indigene Innenministerin Deb Haaland und BIA*-Chef Bryan Newland – dürfte bald der Vergangenheit angehören, denn in vielen Bereichen (Ressourcen, Umweltschutz oder Klimawandel) gehen die Interessen weit auseinander.
In einem Pressestatement des Weißen Hauses verkündete Joe Biden einige letzte Erlasse als Präsident. So ernannte er die berüchtigte Carlisle Federal Indian Boarding School in Pennsylvania zu einem Nationaldenkmal, um der Zwangsassimilierung und des Leids der Tausenden von indigenen Kindern zu gedenken, welche das Internatssystem durchlaufen mussten. Erst jüngst hatte sich Biden für dieses Unrecht an den Indigenen entschuldigt. Ein Gesetz zur Aufarbeitung dieses verheerenden Kapitels in der US-Geschichte ist derzeit im Kongress anhängig. Vor allem unterstrichen Joe Biden und Vizepräsidenten Kamala Harris während der Konferenz die immensen Investitionen in die Infrastruktur in „Indian Country“ – 45 Milliarden Dollar in den vergangenen vier Jahren – und die zahlreichen Proklamationen zum Schutz indigenen Landes, z.B. am Grand Canyon, Chaco Canyon oder Bears Ears National Monument.
Doch auf eine Ankündigung hatten die Indigenen vergeblich gehofft: die Begnadigung von Leonard Peltier.
Leonard Peltier
Seit Jahrzehnten fordern Indigene und Menschenrechtsorganisationen die Freilassung des politischen Gefangenen Leonard Peltier, der seit fast 50 Jahren hinter Gitter sitzt. Der 80-Jährige ist schwer krank und leidet unter den Bedingungen der Haft in Florida wie etwa Lock-Downs und Isolation. Dringend erforderliche medizinische Behandlung wird ihm verweigert. Sollte er nicht bald entlassen werden, droht er in Haft zu sterben.
Noch können wir aktiv werden: Präsident Biden kann immer noch Leonard Peltier begnadigen, bevor er sein Amt am 20. Januar 2025 abgibt. Bitte Petition unterzeichnen. US-Präsident Biden: Europa bittet um Freiheit für den indigenen Gefangen Leonard Peltier
Oder E-Mail an: president@whitehouse.gov oder über das Webformular auf www.whitehouse.gov.
UN-Leitlinien zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen im Naturschutz
So notwendig Maßnahmen zum Schutz der Natur sind, kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen Naturschutzorganisationen und den Rechten Indigener Völker, u.a. durch den WWF. Dabei geht es um die Missachtung indigener Landrechte, aber auch um Gewalt gegen Indigene. John H. Knox, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Umwelt, war maßgeblich an der Ausarbeitung der Grundsätze beteiligt, die einen Meilenstein im Kampf für die Dekolonisierung des Naturschutzes darstellen: „Core Human Rights Principles for Private Conservation Organizations and Funders“, welche am 09.12.2024 präsentiert wurden.
Zu den zehn Kernprinzipien zählen die Anerkennung der indigenen Rechte, insbesondere ihrer Land- und Ressourcenrechte und sowie des FPIC-Prinzips, das in der UN-Deklaration der Rechte der Indigenen Völkern festgelegt ist und verfügt, dass alle Maßnahmen eine „freie, vorherige und informierte Zustimmung“ (FPIC) der Indigenen Völker erfordern. Alle Maßnahmen für Naturschutzgebiete, so die Forderung, müssen in Übereinstimmung mit Menschenrechtsstandards und -normen erfolgen. Auf eine kurze Formel gebracht: Naturschutz, der die Landrechte Indigener Völker nicht respektiert, verletzt die international anerkannten Menschenrechte. Weitere Infos hier.
„Project 2025“ / US-Wahl
Naturschutzprojekte zählen bekanntlich nicht zu den Prioritäten von Donald Trump, der für seinen Amtsantritt als nächster US-Präsident bereits die Blaupause in der Hand hält: Project 2025. Das fast 1000-seitige Programm, erarbeitet von der konservativen Heritage Foundation, geht auf die Situation der Indigenen kaum ein – außer im Hinblick auf Ressourcen. Während die Biden-Administration die Indigenen angeblich „um die Einnahmen aus dem Verkauf von Ressourcen auf ihrem Land betrogen habe“, will Trump genau in diesem Bereich mit den Tribes zusammenarbeiten („Drill, baby,drill“).
„Project 2025“ ist der Fahrplan für gewaltige Umweltzerstörung und Klimakatastrophe. Erstes Ziel auf diesem Weg ist die Abschaffung des „Antiquities Act“, der die Grundlage für die Schaffung von Schutzgebieten auf „öffentlichem Land“ bildet, mit dem Präsident Biden z.B. den Grand Canyon vor aggressivem Ressourcenabbau schützen konnte. Wie schon in Trumps erster Amtszeit sollen dafür nicht nur die Umweltgesetze ausgehöhlt, sondern auch gleich die zuständige Behörde EPA (Environmental Protection Agency) entmachtet werden. Trumps Nominierung von Lee Zeldin als neuem Chef der EPA verdeutlicht, wohin die Reise geht. Zeldin ist ein glühender Unterstützer von Trump und möchte gemeinsam mit Elon Musk die Zerschlagung kritischer Behörden, die Trumps Plänen im Weg stehen, vorantreiben. Der republikanische Abgeordnete hat sich einen unrühmlichen Namen gemacht, indem er versuchte, z.B. die Vorschriften der Trinkwasserqualität einzuschränken. Zeldin setzt auf Deregulierung und befürwortet den erneuten Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen.
Widerstand der Wet’suwet’en
Doch nicht nur die USA setzen auf Ressourcenausbeutung und Missachtung indigener Rechte. Kanadas Premierminister Justin Trudeau hat bereits kurz nach dem Wahlsieg von Donald Trump dem künftigen Präsidenten seine Aufwartung in dessen Luxusressort in Florida gemacht. Kanadas Wirtschaft lebt von den Ressourcen indigenen Landes bzw. dessen Export, u.a. Teersandöl, Holz und Gas. 2023 gingen 77,6% des kanadischen Exports in die USA. Opfer dieser Exportwirtschaft sind die Indigenen Völker.
Die Wet’suwet’en wehren sich gegen die Coastal GasLink Pipeline des Energieriesen TC Energy Corporation auf ihrem traditionellen Land in British Columbia, die das Gas vom Nordosten der Provinz als Flüssiggas bis an die Küste der Pazifikprovinz transportiert. 2019 wurde der Bau der Pipeline begonnen, welche die Indigenen mit Verweis auf ihre Landrechte, aber auch auf ihre Rechte auf traditionelle Verwaltungs- und Entscheidungsstrukturen (in Übereinstimmung mit der UNDRIP) entschieden ablehnen. Ihr Widerstand, der von den traditionellen Erbchiefs unterstützt wird, wird seitdem kriminalisiert und mit Polizeiübergriffen drangsaliert – nicht nur von der Bundespolizei RCMP, sondern auch von der eigens geschaffenen Community-Industry Response Group (C-IRG) und privaten Sicherheitsfirmen wie Forsythe Security. AktivistInnen wurden bedrängt und persönlich angegriffen. Bislang wurden 75 AktivistInnen verhaftet und vor Gericht gestellt.
Trotz wiederholter Unfälle und gravierender Verstöße gegen Umweltauflagen stellt sich British Columbias Premier David Ebe (NDP), der im Oktober 2024 im Amt bestätigt wurde, trotz aller Lippenbekenntnisse zu indigenen Rechten und Umweltschutz hinter die Pipeline. British Columbia war im November 2019 die erste kanadische Provinz, welche die UN-Deklaration der Rechte der Indigenen Völker (UNDRIP) als Gesetz inkorporierte – und damit das Prinzip der „freien, vorherigen und informierten Zustimmung“ der Indigenen zu allen sie betreffenden Projekte. Bei der Annahme der UNDRIP durch die UN-Vollversammlung 2007 zählte Kanada – neben den USA, Neuseeland und Australien – zu den einzigen vier Nationen, welche die Deklaration ablehnten. Schließlich verabschiedete auch die Bundesregierung von Kanada 2021 ein Gesetz zur Umsetzung der UNDRIP – doch die Realität offenbart sowohl auf Bundes- wie auch auf Provinzebene eine mangelnde Bereitschaft zur wirklichen Implementierung der UN-Deklaration und damit der Rechte der Indigenen Völker.
Amnesty hat eine neue Petition zur Unterstützung der Wet’suwet’en ins Leben gerufen.
Spenden für Unterstützung von Indigenen
Menschenrechtsarbeit ist ein 24/7-Job. Doch dafür gibt es offensichtlich kaum Geld. Seit 1986 unterstützen wir Indigene Völker in ihrem Selbstbestimmungsrecht, seit 1989 publizieren wir mit COYOTE das einzige Magazin in Europa, das sich ausschließlich mit der Situation Indigener Völker in Nordamerika auseinandersetzt und seit 2017 verschicken wir einen kostenlosen monatlichen Newsletter mit aktuellen Informationen zur Situation der Indigenen Völker.
Dies alles geschieht in ehrenamtlicher Arbeit, d.h. wir bekommen kein Geld für unsere Arbeit. Dies sichert uns einerseits die notwendige Unabhängigkeit, denn unser Engagement ist von keinen Geldgebern abhängig. Andererseits gibt es für Projekte, die sich mit Indigenen Nordamerikas auseinandersetzen auch kaum Fördermittel, da wir durch alle Raster fallen. Umwelt- oder Tierschutz wird von vielen Fördertöpfen unterstützet, doch Indigene Nordamerikas leben in Ländern, die zur Ersten Welt zählen, auch wenn ihre Lebensumstände häufig denen der Dritten Welt ähneln (heute würde man wohl vom Globalen Süden sprechen). Wer weiß schon, dass heute im Jahr 2024 noch immer ein Drittel der Dineh/Navajo in den USA über kein fließendes Wasser verfügt. Auf diese Missstände aufmerksam zu machen und zu deren Überwindung beizutragen, ist unsere Aufgabe.
Um dies zu erreichen, geben wir Vorträge (meist bei freiem Eintritt), organisieren Demos und Kundgebungen, veranstalten wir Ausstellungen und Filmwochen und finanzieren Reisen von Indigenen, sind aber auch bei internationalen Konferenzen und UN-Sitzungen präsent. Vieles ist heutzutage digital möglich – Protestkampagnen, Eingaben bei den Vereinten Nationen oder Protestbriefe an Konzerne und Regierungen, doch insbesondere Veranstaltungen mit Indigenen kosten viel Geld (Flug, Unterkunft, Honorar etc.). So haben wir dieses Jahr u.a. die Ausstellung „Matriarchs of Wounded Knee“ finanziert oder Jackie Hookimaw eingeladen, um über das Trauma der Residential Schools zu berichten, waren bei UN-Sitzungen präsent und haben unzählige Veranstaltungen (und damit Raumkosten) finanziert.
Um all diese Aktionen und Veranstaltungen auch im kommenden Jahr finanzieren zu können, bitten wir um Eure finanzielle Unterstützung! Neben Spenden (steuerlich absetzbar) wären auch verlässliche Einnahmen im gegenseitigen Interesse, z.B. durch ein Abo unseres Magazins COYOTE (28 Euro/Jahr) oder eine Mitgliedschaft (120 Euro). Spenden bitte per Überweisung auf unser Vereinskonto oder direkt per PayPal.
*BIA = Bureau of Indian Affairs (deutsch „Amt für indianische Angelegenheiten“)
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Newsletter 2024-11 der Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte. Ich habe ihn ins Englische übersetzt und einge zusätzliche Links gesetzt.
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