Nach der Wahl in den USA: ein Stimmungsbild, wie ich es erlebe.
Anhänger des Wahlsiegers Trump muss man so kurz nach der Wahl nicht nach ihrer Befindlichkeit fragen. In den sozialen Medien herrscht begeisterte Aufbruchsstimmung. Das Gegenteil bei Demokraten. Und nun genehmigt Joe Biden auf den letzten Metern seiner Amtszeit der Ukraine noch, Langstreckenraketen gegen Russland einzusetzen.
Kürzlich war ich für ein paar Tage in Austin und ging mit einer Gruppe von Harris-Wählern, also von Demokraten, wandern. Alles supernette und gebildete und relativ wohlhabende Leute, die entweder bereits im Ruhestand oder noch in einem gut bezahlten Job – und, soweit ich es beurteilen konnte, alle mehr oder weniger der gleichen Meinung waren. Donald Trump sei eine Gefahr für die Demokratie. Ein verlogener, krimineller, korrupter, homophober, rassistischer und sexistischer Möchte-gern-Diktatur und, der nur darauf aus sei, sich für die erlittene Niederlage bei der Präsidentschaftswahl 2020 zu rächen. Eine persönliche Vendetta. Und falls er seine Ankündigung wahr mache und mit Hilfe des Militärs Millionen von „aliens“, also von illegalen Migranten, außer Landes schaffe, bräche die US-Wirtschaft zusammen. Denn ohne Migranten laufe vor allem im Baugewerbe und der Gastronomie, der Reinigungsbranche und Erntearbeit nichts mehr. Dann, so meint ein Mitwanderer, müssten die Firmen für diese Arbeit US-Bürger oder legal Eingewanderte anstellen – und das zu wesentlich höheren Löhnen. Automatisch würden dann auch die Konsumgüter und Dienstleistungen für die Verbraucher teurer.
Die Einschätzungen meiner Mitwanderer überraschen mich nicht. So oder ähnlich höre oder lese ich es seit der Wahl immer wieder. Hier in Austin nur geballt, denn in Austin fühlt man den „woken“ Puls des konservativen Texas. „Austin ist jung und reich“, sagt ein Bekannter zu mir. Wegen der vielen IT-Konzerne, die sich in den letzten Jahren angesiedelt haben. Die University of Texas in Austin ist unter den Top 40 der Weltrangliste, die meisten Studenten seien politisch links bis linksextrem eingestellt, höre ich. In Austin sehe ich eines Abends zum ersten Mal ein KI-gesteuertes, selbstfahrendes Auto. Leider ist das Foto sehr schlecht.
Auf unserem Wanderweg bringt jemand das Gespräch auf Bernie Sanders, der als Unabhängiger im US-Senat sitzt, wo er sich der Fraktion der Demokraten angeschlossen hat. Sanders, der seine politische Heimat in einem „Demokratischen Sozialismus“ verortet, hatte nach der Wahl der Demokratischen Partei vorgeworfen, selbst schuld an ihrer Wahlniederlage zu sein. Sie sei zu wenig arbeiterfreundlich gewesen – und deshalb hätten so viele aus der Arbeiterklasse Trump gewählt. Auf X schrieb er: „Es sollte keine große Überraschung sein, dass eine Demokratische Partei, die die Arbeiterklasse im Stich gelassen hat, nun wiederum von dieser im Stich gelassen worden ist.“ (..) Während die Führung der Demokraten den Status quo verteidigt, ist das amerikanische Volk wütend und will Veränderungen.“ Diese Schelte bürsten meine Mitwanderer ab. Nicht die Demokraten seien an der Wahlschlappe schuld, sondern die Wähler. „Die Leute glauben Trump, wenn er sagt, er sei einer von ihnen – aber sie werden noch ihr blaues Wunder erleben“, meint ein Mann.
Ich höre mir die Diskussionen und Meinungen beim Gehen an und stimme im Geist manchmal zu und manchmal dagegen. Mich als Deutsche und Europäerin wühlt gerade eine ganz andere Nachricht auf: Der scheidende Präsident Joe Biden hat genehmigt, dass die Ukraine US- Langstreckenraketen gegen Ziele in Russland einsetzt. Laut New York Times reagiert Biden damit auf den Einsatz nordkoreanischer Soldaten auf russischer Seite. Die Reichweite soll 300 Kilometer betragen. Moskau liegt rund 840 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Dennoch kann dieser Schritt als Eskalation gelesen werden. Und hatte die Biden-Regierung nicht angekündigt, die Amtsübergabe an den Nachfolger Donald Trump reibungslos zu gestalten? Der hatte im Wahlkampf angekündigt, den Ukrainekrieg schnell beenden zu wollen. Würde der Krieg hingegen weiter eskalieren, würde er natürlich Europa treffen – und Deutschland, wo die USA noch immer wesentliche Militärstützpunkte hat. Mich irritiert, dass ich über dieses für mich so brennende Thema auf der Wanderung kein Wort höre. Vielleicht habe ich es ja nur überhört, denke ich und frage später einen Mitwanderer. „Nein, das war kein Thema“, antwortet er. Ich sage einmal mehr, was ich bereits zuvor zu Amerikanern gesagt habe – dass ich das Gefühl habe, sie interessierten sich nur für Innenpolitik, für das, was in ihrem Land vorgeht und sie betrifft. „Ja, das stimmt“, bestätigt er lapidar. „Vielleicht ist der Nahe Osten eine Ausnahme?“, werfe ich ein. Er: „Ich bezweifle, dass die meisten Amerikaner Israel auf einer Landkarte finden würden.“
Der Nahost-Konflikt ist tatsächlich der einzige Bereich, bei dem auf dieser Wanderung Kritik laut wird. Über die Art und Weise, wie die Biden-Regierung auf den aktuellen Gaza-Krieg reagiert hat, sind alle unzufrieden. Auf Trump werde der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sicherlich mehr hören, meint ein jüdischer Mitwanderer. Vielleicht komme es ja sogar zu einem Deal: Und einer weiteren Annäherung zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn zum gegenseitigen wirtschaftlichen Nutzen – unter der Prämisse einer „Zwei-Staaten-Lösung“. Wie soll aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen, die räumlich durch israelisches Staatsgebiet getrennt sind, ein souveräner Staat werden?“, frage ich. „Sie können ja eine Brücke bauen“, antwortet mein jüdischer Gesprächspartner. „Oder einen Tunnel.“ Wir stutzen beide, als er das sagt. Eine makabre Vorstellung angesichts der realen Geschehnisse. Nach einem Moment des Schweigens, lachen wir: Schwamm drüber.
Sie sei vor allen Dingen enttäuscht von ihren Mitbürgern, sagt noch eine Mitwanderin und erntet von den Umstehenden Kopfnicken. Dass die Hälfte ihrer Landsleute „diesen Irren“ gewählt hätten und auf seine Sprüche und leeren Versprechungen hereingefallen seien, macht auch die anderen in der Gruppe fassungslos.
Enttäuschung, Wut, Trauer, Angst. Hilflosigkeit. „Lass uns lieber nicht über Politik reden, der Schock über das Wahlergebnis ist zu frisch. Das macht mich immer noch fertig“, hatte ein paar Tage zuvor meine Gastgeberin beim Abendessen gesagt. „Dir als Außenstehende geht das nicht nahe, mir schon. Ich bin einfach ENTSETZT. Die Vorstellung, dass dieser Wahnsinnige unser Land in eine Diktatur verwandeln wird, ist DER BLANKE HORROR!“ Eine andere Frau bricht das Thema Politik ebenfalls schnell ab. „Wenn ich weiterspreche, muss ich nur wieder weinen“, entschuldigt sie sich. „Nachdem der Wahlsieger feststand, habe ich Tage lang nur geheult.“
Demokratinnen bringen vor allem ihre Sorge zum Ausdruck, dass der Wahlsieg Donalds Trump zu weiteren Restriktionen bei Abtreibungen führen könnte. Dies obwohl der Oberste Gerichtshof der USA die Entscheidung darüber an die Staaten delegiert hat. Texas hat allerdings eines der strengsten Abtreibungsgesetze. Eine Gesprächspartnerin berichtet von einem Vorfall vor einigen Tagen, als sie mit ihrem Auto unterwegs war. Auf dem Heck hat sie einen Aufkleber, mit dem sie für das Recht auf Abtreibung wirbt. Der Aufkleber daneben besagt, dass sie für Kamala Harris gestimmt hat. An einer Ampel seien zwei junge weiße Männer neben ihr zum Stehen gekommen, erzählt sie. Einer hätte das Fenster heruntergekurbelt, auf ihren Aufkleber gedeutet und mit einem großen Grinsen „Trump, go!“ gerufen. Als sie abgewunken habe, habe er ihr beim Anfahren nachgebrüllt: „Ihr tötet unsere Babys!“ Das Gerücht aus den sozialen Medien, Demokraten würden Abtreibungen bis und sogar nach der Geburt befürworten, halte sich hartnäckig, sagt die Frau. Nach dem Wahlsieg Trumps trauten die Abtreibungsgegner sich nun offenbar mehr und mehr in die Offensive.
In die Offensive gehen auch Trump-Gegnerinnen. Die Bewegung nennt sich „4B“. Sie nahm ihren Anfang in Südkorea. Die Grundidee: Frauen schwören heterosexuellen Ehen, Dates, Sex und dem Gebären ab, um gegen institutionalisierte Frauenfeindlichkeit und sexuellen Missbrauch zu protestieren. Der Name „4B“ bezieht sich auf diese vier Verbote, die auf koreanisch mit dem Buchstaben „B“ beginnen, so wurde es mir erklärt. Die hauptsächlich online aktive Bewegung begann 2018 mit Protesten gegen Rachepornos und entwickelte sich zu Südkoreas feministischer Welle, ähnlich #MeToo. Nach Donald Trumps Wahlerfolg haben vor allem junge Frauen die Methode aufgegriffen. Vor der US-Wahl sagten Experten eine eindeutige Kluft zwischen den Geschlechtern voraus, und die ersten Wahlumfragen bestätigen diese Vorhersage: Danach stimmten Frauen im Alter von 18 bis 29 Jahren mit überwältigender Mehrheit für Kamala Harris, während Trump bei den männlichen Wählern im Vergleich zu 2020 an Boden gewann.
Die Idee des Sexstreiks als politisches Mittel hat ein historisches Vorbild: Im antiken Griechenland, während des Peloponnesischen Krieges (431-404 v. Chr.), schlug die Komödiendichterin Aristophanes eine ungewöhnliche Strategie gegen den Krieg vor: Frauen sollten sich ihren Männern sexuell verweigern, bis diese den Krieg beenden. In Israel produzierte die Band “STRIKE!” eine Elektro-Oper, die sich an diese Geschichte anlehnt. Regisseur Spike Lee inszenierte 2015 den satirischen Film “Chi-Raq”, in dem Frauen gegen die Bandenkriege Chicagos einen Sexstreik initiieren. Und in den 1960er und 70er Jahren traten feministische Gruppen der zweiten Welle der Frauenbewegung, wie etwa Cell 16 in den USA, für den Zölibat und die Trennung von Männern ein.
Zurück in die Nach-Wahl-Trump-USA im Jahr 2024: Aktivistinnen rasieren sich die Köpfe kahl und rufen andere Frauen dazu auf, sich der 4B-Bewegung anzuschließen. Sie fordern: kein Sex, keine Dates, keine Heirat und keine Kinder mehr mit Männern, die Donald Trump gewählt haben. Zitate aus dem nachfolgenden Video-Clip:
- Ich werde in Trumps Amerika keinen Mann mehr küssen.
- Die nächsten vier Jahre werde ich keinen Sex mit Männern haben.
- Ich habe buchstäblich mit einem Mann Schluss gemacht, weil er für Trump gestimmt hat.
- Ich finde, Frauen sollten die nächsten vier Jahre keinen Sex haben.
Auf Tik Tok nehmen manche Aktionen von Aktivistinnen bizarre Züge an. Eine bringt vor lauter Weinen kaum ein Wort heraus. Sie habe nun Angst, Dating Apps zu benutzen, weil sie eventuell mit einem Trump-Anhänger zusammengebracht werden könnte.
Bei allem Kopfschütteln, das mich bei manchem Gesagten und Gehörten überkommt: Ich denke daran, dass es in Deutschland voraussichtlich am 23. Februar eine vorgezogene Bundestagswahl geben wird, weil die Koalition aus drei Regierungsparteien zerbrochen ist. Wer weiß, wie ich mich nach dem Wahlergebnis fühlen werde. Eines weiß ich jetzt schon: Begeisterte Aufbruchstimmung wie die Trump-Fans werde ich nicht haben. In Tränen werde ich auch nicht ausbrechen. Von einem bin ich überzeugt: Auf uns alle kommen harte Zeiten zu. Aus vielerlei Gründen. Als Deutsche und Europäerin hoffe ich, dass darunter kein Krieg sein wird.