Gastbeitrag Politik USA

Eine Entschuldigung und andere indigene Nachrichten

Jüngste Nachrichten im Magazin Coyote zur Situation der Native Americans in den USA.

Gastbeitrag der Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte

Kurz vor der Wahl im November hat US-Präsident Joe Biden sich offiziell bei den Native Americans für die einstige Zwangsassimilierung entschuldigt. Wird er in den letzten Tagen seiner Amtszeit noch den indigenen Langzeitgefangenen Leonard Peltier begnadigen?

Logo ©Arbeitsgruppe (AGIM)

Von Monika Seiller

Entschuldigung von US-Präsident Biden für das Internatssystem in den USA

Erst kurz vor dem Ende seiner Amtszeit als US-Präsident fand Joe Biden den Weg zu den Indigenen, um sich im Namen der US-Regierung für eines der „abscheulichsten Kapitel in der amerikanischen Geschichte“ (Wortlaut Biden) zu entschuldigen – das Zwangssystem der „Boarding Schools“, jener Internate, in denen die indigenen Kinder (wie auch in Kanada) über ein Jahrhundert der Unterdrückung und Assimilierung ausgesetzt waren. Den Slogan „Kill the Indian, Save the Man“ prägte Richard Pratt, ein US-Militär, der 1879 die Carlisle Indian Industrial School gründete – das US-Modell für die Internatsschulen, in die Generationen von indigenen Kindern geschickt wurden, um aus ihnen assimilierte „Christenmenschen“ zu machen – in Wahrheit jedoch billige Arbeitskräfte, die ihrer indigenen Identität beraubt wurden.

Am 25. Oktober 2024 verkündete Biden seine offizielle Entschuldigung anlässlich eines Besuchs der Gila River Indian Community, einem Reservat in Arizona. In seiner emotionalen Rede erklärte Biden, „es gibt keine Entschuldigung dafür, dass es 50 Jahre gedauert hat, bis sich die Regierung zu ihrer Schuld gegenüber den Indigenen bekennt“ und bat anschließend um eine Schweigeminute im Gedenken an die verlorenen und traumatisierten Generationen. Die Politik der Internatsschulen laste als „Sünde auf unserer Seele“, erklärte Biden. Erst mit dem „Indian Self-Determination and Education Assistance Act“ (P.L. 93 638) wurde 1975 die Ära der “Boarding Schools” offiziell beendet.

War Bidens Erklärung nun eine lange überfällige Genugtuung für die Indigenen? Mitnichten. Seine dahingestotterte Rede (im Original-Transkript auf der Webseite des Weißen Hauses mit allen Aussetzern nachzulesen) kommt immerhin erst 16 Jahre (!) nach der Entschuldigung der in Ausreden und Verdrängung wahrlich geübten kanadischen Regierung. Zudem – peinlich genug – war es Bidens erste Reise ins „Indian Country“ seit Amtsantritt. Biden hatte fast vier Jahre Zeit, sich bei den Indigenen blicken zu lassen – doch knapp zwei Wochen vor der entscheidenden Wahl am 5. November fiel ihm wohl noch rechtzeitig ein, dass im Swing State Arizona mit seinen 7,2 Mio. EinwohnerInnen die Indigenen einen Bevölkerungsanteil von 4,5 % stellen. Im traditionell republikanisch dominierten Bundesstaat zählt jede Stimme – und die Indigenen wählen eher die Demokraten, wenn sie nicht durch zahlreiche Hindernisse von der Wahl ausgeschlossen werden.

Biden rühmte sich in der Rede daher auch seiner Verdienste um die Rechte der Indigenen. Tatsächlich wurde unter ihm die erste Indigene zur Innenministerin ernannt, und neben Deb Haaland waren so viele Indigene mit Ämtern in der Administration vertreten wie nie zuvor. Doch gerade im Hinblick auf die Aufarbeitung der Internatsschulen und deren Folgen hinken die USA deutlich hinterher. Während die Truth and Reconciliation Commission (TRC), die Wahrheits- und Versöhnungskommission, in Kanada ihre Arbeit bereits 2009 aufnahm und 2015 einen sechs Bände umfassenden Abschlussbericht vorlegte, hat dieser Prozess erst unter Deb Haaland zaghafte Schritte unternommen, u.a. mit der Einrichtung der „National Native Boarding School Healing Commission“ (vgl. Coyote Heft Nr. 137).

Die Reaktion der Indigenen auf Bidens „Apology“ fiel daher auch eher verhalten aus. Viele begrüßten die längst überfällige Entschuldigung, wollen aber Taten statt Worte – und nicht nur als „Stimmvieh“ beschwichtigt werden. Sie verlangen eine umfassende Aufarbeitung, u.a. durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Einrichtung einer „U.S. Truth & Healing Commission“, finanzielle Unterstützung für die Wiederbelebung indigener Kultur und Sprache sowie die Untersuchung von Missbrauch an den indigenen Kindern in den Internaten. Zudem fordern sie finanzielle Mittel für die Suche nach Gräbern der indigenen Kinder. Bislang sind fast 1.000 Todesopfer der Internatsschulen dokumentiert.

COP 16: Anerkennung für Indigene trotz gescheitertem Gipfel

In den frühen Morgenstunden des 2. November war klar, dass die Weltgemeinschaft – oder vielmehr die reichen Industriestaaten – einmal mehr gescheitert sind, „Frieden mit der Natur“ zu schließen, wie der Titel der 16. COP, der Konferenz der Vereinten Nationen zur Biodiversitätskonvention lautete, welche vom 21.10.-01.11.2024 im kolumbianischen Cali stattfand. Die Konferenz sollte die Beschlüsse der Vorgängerkonferenz in Montreal 2022 in konkrete Pläne umsetzen, doch am Ende zogen sich die Verhandlungen (oder besser das Feilschen um Geld) so lange hin, dass die Hälfte der TeilnehmerInnen bereits abgereist und die Konferenz nicht mehr beschlussfähig war. Vor allem Teilnehmende aus ärmeren Ländern klagten, sie könnten sich schlicht eine Umbuchung ihres Flugtickets nicht leisten.

Immerhin gab es einen Erfolg für die Indigenen, die seit Beginn der Konferenzen die Sitzungen begleitet und auf mehr Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit gedrängt hatten. Sie erhalten nun eine offizielle Arbeitsgruppe durch die Vereinten Nationen. Welches Gewicht dieses Gremium haben wird, muss sich noch zeigen, doch die Resilienz der Indigenen hat dazu beigetragen, dass ihre Stimmen gehört werden. Die Umsetzung ihrer Forderungen ist die Bringschuld der Staaten.

„The Women of the Red Power Movement“ – Interview mit Beth Castle

In den letzten Ausgaben unseres Magazins „Coyote“ hatten wir ausgiebig über das Warrior Women Project berichtet bzw. deren Ausstellung Matriarchs of Wounded Knee, die im August dieses Jahres in München zu sehen war, besprochen. Elizabeth Castle, die Direktorin des Projekts, die gemeinsam mit Christina King die Dokumentation Warrior Women gedreht hatte, berichtete in einem einstündigen Radio-Interview über die Hintergründe des Projekts, das nicht zuletzt auf ihre Dissertation über die Frauen der Red-Power-Bewegung zurückgeht.

Interview mit Elizabeth Castle (Englisch) ©WORT 89.9FM Madison

Nochmals: Unterstützungsaufruf für Leonard Peltier

Im letzten Newsletter hatten wir um Unterstützung für die Freilassung des indigenen politischen Gefangenen Leonard Peltier gebeten, der seit fast fünf Jahrzehnten hinter Gitter sitzt und inzwischen schwer krank ist. Erst jüngst musste er ins Krankenhaus zur Behandlung. Die letzte Hoffnung, seine baldige Freilassung zu erwirken, ruht auf dem scheidenden US-Präsidenten Joe Biden. Er hat die Möglichkeit, den 80-Jährigen zu begnadigen bzw. aus humanitären Gründen aus dem Gefängnis zu holen.

E-Mail: president@whitehouse.gov oder über das Webformular auf www.whitehouse.gov.


Dieser Text ist ein Auszug aus dem Newsletter 2024-10 der Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte. Die Links habe ich gesetzt. Der Text erschien bereits Anfang November, ich bitte für die späte Veröffentlichung um Nachsicht.

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