Kommentar Politik USA

10, 9, 8… Wahltag ist hier!

Beobachtungen und Erlebnisse vor der US-Wahl 2024.

Als Deutsche in USA: Was mir vor der Wahl durch den Kopf geht.

Harris oder Trump? Süß oder sauer? Gerade war Halloween, daher meine Assoziation. Ich finde weder Harris süß noch Trump sauer. Auch umgekehrt wird für mich kein Schuh draus. Einige Beobachtungen und Erlebnisse im Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2024.

Schild in Minneapolis, Minnesota ©Rebecca Hillauer

Die meisten Amerikaner wirken in diesen Tagen wie unter Strom. „Aber diese Wahl…“. So fangen viele ihre Sätze an, wenn sie eigentlich erzählen wollen, wie es ihnen zur Zeit geht. Liest man die Posts auf X oder die Artikel auf der Online-Plattform Substack, egal ob von Trump- oder Harris-Anhängern, scheint es, als würde für eine Hälfte der US-Bevölkerung garantiert die Welt untergehen, wenn der verhasste falsche Kandidat bzw. die verhasste falsche Kandidatin die Wahl gewinnen würde. Im Fall von Trump hat die Gegenpartei immerhin bereits vier Jahre seiner Präsidentschaft überlebt. Aber Logik zählt in diesen Zeiten nicht, sondern einzig Emotionen. Und davon gibt es reichlich.

Anders als in Deutschland, ist in den USA auch der Wahlkampf um das höchste Amt des Präsidenten vor allem Showbiz. Langweilig war gestern. Trump mit seiner Erfahrung im Reality-TV versteht sich auf dieses Metier besser als seine Konkurrentin. Medienwirksam ließ er sich in Philadelphia in einer McDonald’s-Filiale dabei filmen, wie er, mit umgebundener Schürze, eine Portion Pommes Frites über die Theke reichte. Eine Gelegenheit zur weiteren Selbstinszenierung lieferte ihm bald darauf Joe Biden: Der noch amtierende Präsident reagierte auf einen Comedian, der bei einer Trump-Veranstaltung Puerto Rico als im Ozean schwimmende Insel von Müll bezeichnet hatte, indem er etwas von „Müll“ und „Unterstützer Trumps“ nuschelte. Noch mühte sich das Weiße Haus um Schadensbegrenzung, als Donald Trump sich am nächsten Tag in einem Müllauto filmen ließ. Auch bei einem anschließenden Wahlkampf-Event trug er immer noch die orange-gelbe Weste eines Müllmanns. So etwas wirkt. Seine Anhänger jubeln. Anders im Lager von Vizepräsidentin Kamala Harris. Als sie Beyoncé für einen Wahlkampfauftritt im Shell Energy Stadium in Houston, Texas, ankündigt, erwarten alle, dass die Pop-Sängerin auch singen wird. Tut sie aber nicht. Sie spricht für gute vier Minuten, dann macht sie Platz für Kamala Harris. Diejenigen, die bis zu 12 Stunden in der Schlange gewartet hatten, weil sie dachten, umsonst Beyoncé singen zu hören, verlassen teils unter Buhrufen den Saal. „Eine weitere Niete“ war dazu noch der freundlichste Kommentar von Trump-Fans auf X.

Im September verbrachte ich drei Wochen in Eureka Springs, einem Hippy-Städtchen im sonst überwiegend Red State Arkansas. Red = rot im Sinn von Republikanisch. Konservativ. Eureka Springs ist dagegen Blue, also blau für Demokratisch. Gleich um die Ecke, wo ich wohne, hat eine Frau vor ihrem Haus ein Schild aufgestellt: „Grab him by the ballot, Kamala“ (Pack ihn am Wahlzettel, Kamala). Der Spruch spielt auf ein Video vom September 2005 an, in dem der damalige Präsidentschaftskandidat Donald Trump prahlte, als „Star“ könne Mann mit Frauen alles machen, sogar Grab ‚em by the pussy (sie bei der Muschi packen).

Ich begleitete eine Bekannte zu einem Treffen einer Gruppe von Harris-Anhängern. Sie wollen Postkarten an Gleichgesinnte in Ohio verschicken, um sie daran zu erinnern, am 5. November unbedingt zu wählen – Kamala Harris natürlich. Als Schreibvorlage haben die Teilnehmer drei unterschiedliche Textbausteine zur Auswahl. Ich schreibe auch ein paar Karten, unterschreibe sie aber nicht, da ich weder ein Mitglied der Gruppe noch US-Bürgerin bin. Die Stimmung ist heiter, aber auch intensiv, denn alle Anwesenden sind davon überzeugt, dass Donald Trump als Präsident verhindert werden muss. Als wir darüber sprechen, höre ich mitunter so etwas wie Verzweiflung heraus. Eine Frau fragt mich, was ich von Kamala Harris halte. Ich bin ehrlich: Harris war gerade zu Gast bei der berühmten Talkshow-Moderatorin Oprah Winfrey und hatte mich nicht überzeugt. Das verwundert meine Gesprächspartnerin. Sie selbst ist von Harris überzeugt. Weil sie Pro Choice ist, also für das Recht auf Abtreibung. Und weil es Zeit wird, dass in den USA endlich eine Frau ins Präsidentenamt kommt. Und: Um Trump zu verhindern. Das ist bei weitem die die häufigste Antwort, die ich in all der Zeit von erklärten Harris-Wählern erhalten habe. Manche fügten hinzu: „Sie ist das kleinere Übel“.

Als Deutsche finde ich es gewöhnungsbedürftig, dass bei der landesweiten Wahl des Präsidenten in jedem US-Staat eigene Regeln für die Wahl gelten. In Deutschland wird bei der Bundestagswahl nach landesweit einheitlichen Vorgaben gewählt. Und immer an einem Sonntag und nur an diesem einzigen Tag in der Zeit von 8 bis 18 Uhr. In den USA sind die einzelnen Staaten wesentlich unabhängiger als die Bundesländer in Deutschland, was dem unterschiedlichen Selbstverständnis der Völker von Individualität und Freiheit entspricht.

Eines fällt mir noch auf: Beim US-Wahlkampf geht es vor allem um innenpolitische Themen. Die Amerikaner interessiert, was sie direkt betrifft. Der Ukraine-Krieg? Der Nahe Osten? Als Deutsche und Europäerin sorge ich mich natürlich, wie es in der Ukraine weitergeht. Weitet sich der Krieg aus? Wird Deutschland und Europa zur Zielscheibe eines eventuellen Atomkriegs? All das ist für die Menschen in den USA weit weg. Ich, die ich nun seit sechs Monaten im Land bin, kann das gut nachvollziehen. Ich erwähne meine Beobachtung etlichen Bekannten gegenüber. Sage, dass ich den Eindruck hätte, für Amerikaner würden bei der Präsidentschaftswahl nur innenpolitische Themen zählen. Jedes Mal ernte ich ein zustimmendes Kopfnicken.

Und dann erlebe ich doch noch, was ich bis dahin nur von anderen gelesen oder gehört habe: Eine Harris-Apologetin kündigt mir per E-Mail unsere nicht vorhandene Freundschaft auf, weil ich angeblich Trump „promote“. Wie? Was? Ich bin perplex. Wie wäre es, erst noch mal darüber zu reden? Ich schreibe, dass ich es für gefährlich halte, wenn sie und andere Trump mit Hitler gleichsetzen. Damit würden sie die Taten des historischen Hitlers relativieren. Aber alle meine Erklärungen perlen an der Harris-Anhängerin ab. Ich wäre mehrfach ihr und ihren Freunden gegenüber „offensive“ gewesen. Also beleidigend oder aggressiv. Wie, erklärt sie nicht. Und ich kann es mir auch nicht erklären, da ich weder sie noch ihre Freunde gut kenne noch viel Zeit mit ihnen verbracht habe. Sie will jedenfalls keinerlei Kontakt mehr, schreibt sie, und nicht weiter mit mir kommunizieren. Werde ich gerade von einer „Woken“ gecancelt? Fanatikerin, denke ich. Intolerant. Selbstgerecht. Ärgerlich. Und so überflüssig wie ein Kropf.

Besonders empört ist sie über meinen Artikel Wer isst hier Katzen?. Darin würde ich Donald Trumps „Lügen“ verbreiten, dass haitianische Migranten in Springfield, Ohio, Katzen und Hunde äßen. Was stimmt: Ich habe die Behauptung Trumps nie als „Lüge“ bezeichnet. Ich habe niemandes Partei ergriffen. Was ich getan habe, ist, die Geschichte von verschiedenen Seiten zu erzählen. Da sind Trump, sein designierter Vize, JD Vance, Springfields Bürgermeister, Alteingesessene, Migranten, Voodoo, Parodien auf Trumps Behauptung, Klage gegen Trump und Vance. Für mich ist das meine Aufgabe als Journalistin: möglichst vielfältige Informationen zu einem Thema zu liefern, damit die Leser und Hörer sich ihre Meinung bilden können. Oder es auch lassen. Doch diese Vorstellung der „Unparteilichkeit“, das „sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch wenn es eine gute ist“ nach dem renommierten Journalisten Hanns-Joachim Friedrich, ist inzwischen keinen Cent mehr wert. Altmodisch. Was zählt, ist: „Haltung“. Meint, Partei ergreifen; die eigene Meinung als Tatsache hinstellen. Und das nicht nur in den USA, in Deutschland und Europa ist es ebenso. In dem Sinn bekenne ich: Ich bin altmodisch. Doch Moden kommen ja immer wieder neu in Mode. So wird es, hoffe ich, auch im Journalismus sein.

Im Jahr 2020, als Donald Trump Präsident war, las ich, dass er die Aufenthaltsdauer von ausländischen Korrespondenten auf acht Monate beschränken wolle. Das brachte mich natürlich gegen ihn auf. Ob er diese Agenda wieder aufnimmt, falls er gewählt wird? Vielleicht, hoffentlich wird er doch wichtigere Dinge zu tun haben. Oder hat, wie manche „Verschwörungstheoretiker“ unken, am Ende doch sowieso der „digital-finanzielle Komplex“ das Ruder in der Hand – und ist es mithin vollkommen egal, wer die nächsten vier Jahre im Weißen Haus sitzen wird? Und ist die ganze Aufregung, ob Harris oder Trump, ob süß oder sauer, für die Katz? Es wird also spannend bleiben, auch nach der Wahl.

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