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Sexueller Missbrauch in der afrikanischen Kirche

Auch in Afrika kommt nun das Thema des sexuellen Missbrauchs von Ordensschwestern durch Priester auf den Tisch.

Buchrezension über ein Tabuthema. Gastbeitrag von Volker Seitz

Der Film „Gottes missbrauchte Dienerinnen“ (2019) und Papst Franziskus‘ Geständnis, dass der Missbrauch von Ordensfrauen existiert, haben die Gesellschaften in Europa sensibilisiert. In Afrika herrschte Schweigen. Die Ordensschwester Mary Lembo beschreibt in ihrer Pionierarbeit die Ausbeutung junger Nonnen durch katholische Priester.

Buchcover ©Aschendorff Verlag

Von Volker Seitz

Gerüchte gab es in jedem Land in Afrika, in dem ich gearbeitet habe. Aber sie wurden immer als Sensationsmeldungen verurteilt. Und wenn schon mal ein Fall nicht vertuscht werden konnte, wurde die vergewaltigte Ordensschwester entlassen und allenfalls mit – vergleichbar – ein paar Hundert Euro abgefunden und der Priester in eine andere Pfarrei versetzt oder zur Fortbildung geschickt. Initiativen gegen den Missbrauch sind jahrelang versandet. Die katholische Kirche in Afrika hat das Problem des Missbrauchs lange ignoriert.

Dissertation

Mary Makamatine Lembo aus Togo hat eine mutige Dissertation über das Tabu-Thema „Sexueller Missbrauch von Ordensfrauen in Afrika“ vorgelegt. Das Buch ist in dem 1720 gegründeten katholischen Aschendorff Verlag in Münster im Mai 2024 erschienen. Die Autorin lehrt Psychologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom und gehört dem Orden der Katharinen-Schwestern an. Mehrere Jahre musste sie Überzeugungsarbeit leisten, damit afrikanische Ordensfrauen mit ihr über ihre Missbrauchserfahrungen durch Priester sprachen. Sie musste nicht nur die Angst und Scham der Betroffenen, sondern auch eine weit verbreitete Kultur des Schweigens und der Vertuschung überwinden. Das sexuelle Fehlverhalten von Priestern gegenüber Ordensfrauen in Subsahara-Afrika war bisher noch nicht erforscht worden.

Ihre Untersuchung beschäftigt sich mit vier Ländern in Westafrika und einem Land in Ostafrikas. Sie zeigt, dass das Problem nicht auf einen kleinen geografischen Raum beschränkt ist.

Status von Priestern und Ordensfrauen

Das Leben als Priester und Ordensfrau ermöglicht in Afrika die Befriedigung verschiedener Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wohnung, medizinische Versorgung. Bedürfnisse nach Zugehörigkeit zu einer Diözese oder Ordensinstitut sowie das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung in der Gesellschaft.

Das Wort des Priesters hat bei den traditionellen Autoritäten, dem Häuptling des Dorfes oder des Gebiets und seinen Beratern, den traditionellen Geschichtenerzählern (Griots) und den Ordensfrauen Gewicht. Er wird häufig um Rat und Hilfe gebeten. Die Achtung und Wertschätzung für den Priester kann bei manchen Menschen (z.B. Ordensfrauen und deren Familien) mit einer gewissen Angst vermischt sein, die dazu führen kann, dass sie es nicht wagen, den Priester mit Fehlverhalten zu konfrontieren, ihn zu verärgern oder ihn wütend zu machen, weil sie befürchten, dass dies einen Fluch auf sie ziehen könnte.

Auch hat ein Priester in Afrika ein positives Image. Er weckt Vertrauen. Er kann das naive Vertrauen, wie Mary Lembo nachweist, auch missbrauchen. In den meisten Fällen wird der Ordensschwester oder der jungen Frau in Ausbildung zum Ordensleben nicht geglaubt, wenn sie ihre Geschichte über körperliche Misshandlung, sexuellen Missbrauch oder Diskriminierung durch den Priester erzählt. So wird sie erneut zum Opfer gemacht und beschuldigt, den Ruf und das Ansehen des Priesters schädigen zu wollen. So zerstört der Machtmissbrauch die Fähigkeit, sich anzuvertrauen und sich auf einen anderen Menschen verlassen zu können.

Ordensschwestern und Peiniger

Sie schildern ihre Erfahrungen mit Vergewaltigung, versuchten sexuellen Handlungen in der seelsorgerischen Beziehung, aufdringlichen Liebesbekundungen mit sexuellen Aufforderungen, gelegentlich verbunden mit Geschenken. Die Dauer der Beziehungen schwankte bei den Befragten zwischen vier Monaten und dreizehn Jahren. Für mache war es sehr schwierig, die sexuelle Beziehung zu beenden. Sie fühlten sich gedemütigt, enttäuscht, hilflos, angesichts der Realität, die sie durchlebten. Sie waren unfähig, nein zu sagen oder zu handeln.

Sie öffneten sich erst gegenüber der mitfühlenden Studienleiterin und beschrieben die Beziehung zu Freunden, anderen Priestern und Menschen an ihrem Arbeitsplatz, die durch das Verhalten des Peinigers beeinträchtigt wird, der sie in ihrer Gegenwart schlecht behandelt, bedroht, Eifersucht zeigt und Ermahnungen ausspricht.

Einer der Priester missbrauchte gleichzeitig zwei junge Frauen, die in derselben Gemeinschaft in der Ausbildung zum Ordensleben waren. Übrigens: Die beteiligten Priester hat Mary Lembo nicht befragt und sie kennt auch ihre Identität nicht.

Schweigen der Familien

Die Analyse der Berichte der Teilnehmerinnen hat gezeigt, dass Schuldgefühle zu den Folgen gehören, die die Verwirrung der Ordensschwestern noch zusätzlich belasten. Die betroffenen Priester sind schuldig, projizieren ihre Verantwortung aber auf die Ordensfrauen und die jungen Frauen in der Ausbildung zum Ordensleben. In ihrer Feldforschung war es offensichtlich, dass die Priester, wenn sie um Vergebung baten, dies nur taten, um die Ordensfrauen oder Frauen in der Ausbildung zum Ordensleben zurückzugewinnen und sie erneut zu missbrauchen. Das Schweigen der Familien der Opfer und der Täter kann Ausdruck von Naivität und Unachtsamkeit, eine Idealisierung der Kleriker und dem völligen Vertrauen in sie sein. Aufgrund seiner Berufung und seines Dienstes wird der Priester in Afrika leicht auf ein Podest gestellt. Auch umgibt ihn oft eine „Aura der Heiligkeit“. Es kann auch eine stillschweigende Komplizenschaft sein, wenn sie – sofern der Missbrauch bekannt wird – die Konsequenzen für ihre Töchter und Söhne fürchten.

Aufklärung von Gesellschaft und Kirchenleuten

Mary Lembo appelliert mit ihrem Buch an die Gesellschaft und die Kirche, die verstehen müssen, was passiert, wie es passiert und warum es solche Verhaltensweisen zwischen Klerikern und den von ihnen abhängigen Ordensschwestern gibt. Eine Sensibilisierung und Erziehung in Bezug auf die sexuelle Gewalt kann nach ihrer Meinung in den Diözesen und Pfarreien stattfinden. Dort sollte der Macht- und Vertrauensmissbrauch innerhalb der Kirche thematisiert werden. Lange Zeit hatten Afrikaner die Überzeugung, dass es das Problem in der afrikanischen Kirche nicht gibt. Für die von der Männermacht dominierte Kirche war dies ein Problem im Westen. In Afrika redet man nicht über Sex und Sexualität. Das ändert sich langsam. Das liegt auch an der Ordensfrau Jacinta Ondeng, die an der katholischen Tangaza-Universität in Nairobi, der Hauptstadt von Kenia, einen verpflichtenden „Safeguarding“ Kurs für angehende Priester und Ordensleute etabliert hat. Sie bietet auch Fortbildungsmöglichkeiten für Priester, die bereits in Gemeinden tätig sind, an.

Das Buch der mutigen Ordensschwester Mary Lembo wird ebenfalls helfen, das Schweigen über sexuelle Ausbeutung in der Afrikanischen Kirche zu brechen. Es stimmt zuversichtlich, dass endlich dieses Thema Gehör findet und es keine Konspiration des Schweigens von Seiten der katholischen Kirche mehr gibt. Zumindest wurden die gesammelten Fakten ins Licht der Öffentlichkeit gestellt. Eine angemessene Reaktion der kirchlichen Seite sollte meines Erachtens sein: Die Täter zu konfrontieren, zur Rechenschaft zu ziehen und wirksame Maßnahmen zur Vermeidung künftiger Fälle zu ergreifen.

Diese Buchbesprechung erschien erstmals in voller Länge auf Achgut.  Volker Seitz war von 1965 bis 2008 für das deutsche Auswärtige Amt tätig, darunter siebzehn Jahre als Botschafter in Afrika. Er gehört zum Initiativkreis des „Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe“ und ist Autor des Bestsellers Afrika wird armregiert (dtv, inzwischen in aktualisierter und erweiterter 11. Auflage).


Gastbeiträge geben nicht automatisch die Meinung der Blog-Betreiberin wieder. Diese (ich) hofft in diesem Fall, dass sich bald jemand auch mit der Thematik des sexuellen Missbrauchs von Kindern in den Kirchen Afrikas beschäftigen und darüber publizieren wird – und dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden.

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