Springfield, Ohio: Klage gegen Donald Trump und JD Vance – und ein Haitianer, der Trump zum Teil recht gibt.
Seitdem Donald Trump in der TV-Debatte mit Kamala Harris behauptete, Migranten aus Haiti würden in Springfield, Ohio, Katzen und Hunde essen, haben die Spannungen in der Stadt weiter zugenommen. Eine gemeinnützige Organisation hat Trump und J.D. Vance nun verklagt.
Die einen lachten und spotteten, die anderen verteidigen seither in sozialen Medien „ihren“ Präsidenten bis aufs Blut. Derweil hatte Donald Trump es durchaus clever angestellt: Der Ex-Präsident und aktuelle Präsidentschaftskandidat behauptete nicht etwa nur, die Migranten in Springfield, Ohio, würden irgendwelche Katzen und Hunde verspeisen. Nein. Er präzisierte: Sie essen die Haustiere der Leute, die dort leben. Damit traf er die Besitzer von Katzen und Hunden ins Herz – und erzeugte bei manchen wohl zudem noch eine Portion Angst.
Seither sind in Springfield 34 anonyme Bombendrohungen eingegangen. Rathaus und Schulen wurden vorübergehend geschlossen, das Krankenhaus wurde abgeriegelt, und die beiden Colleges wechselten zu Online-Fernunterricht. Gouverneur Mike DeWine, in Springfield geboren, entsandte drei Dutzend State Troopers, spezielle Polizisten, die für den gesamten Staat Ohio zuständig sind. Wer die Urheber der Drohungen sind, ist bis dato unklar. Spekulationen reichen bis zum Iran.
Auf Anfang
Springfield war einst eine boomende Industriegemeinde, bevor ab der 1970er Jahre mehrere Fabriken schlossen und die Einwohnerzahl bis 2020 auf knapp 60.000 sank. Seither sind nach Schätzungen 15.000 bis 20.000 Migranten aus Haiti in die Stadt gezogen. Sie stellen die Arbeitskräfte für neu angesiedelte Fabriken und Unternehmen – ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung. Und es heißt, Busse würden jeden Tag mehr in der Stadt absetzen. Im August 2023 starb ein 11-jähriger Junge in einem Verkehrsunfall, den ein haitianischer Migrant verursacht hatte. Zu Beginn des Jahres 2024 verkündete die Biden-Regierung einen vorübergehenden Abschiebestopp für Haitianer, die vor dem 3. Juni 2024 in die Vereinigten Staaten gekommen sind, einschließlich derjenigen, die die Grenze illegal überschritten haben.
Laut Epoch Times brachte den Medienhype eine Plauderei zwischen zwei Nachbarinnen ins Rollen – und ein anschließender Post auf Facebook. sagt Kimberly Newton rückblickend, ihre Nachbarin, Erika Lee, hätte ihre Aussagen von damals im Post falsch wiedergegeben. Danach hatte ihr eine andere Nachbarin erzählt, dass eine Freundin ihrer Tochter ihre Katze vermissen würde. Eines Tages hätte sie dann im Garten des Nachbarhauses, in dem Haitianer leben, ihre Katze am Baum an einem Ast hängen sehen, „so wie man ein Reh zum Schlachten aufhängt. Und sie waren dabei, es zum Essen zu zerlegen.“
Die Geschichte eskalierte, als sie dann auf der Plattform X repostet wurde. Schließlich sogar von Senator J.D. Vance aus Ohio. Der republikanische Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten schrieb von Berichten, die zeigten, dass Haustiere „entführt und gegessen wurden von Menschen, die nicht in diesem Land sein sollten.“ In einem Interview mit dem TV-Sender CNN berief Vance sich darauf, sein Büro sei überschwemmt worden mit Beschwerden aus seiner Wählerschaft über ähnliche Vorfälle. Auch auf einer Stadtratssitzung in Springfield am 27. August brachten einige Bewohner Anschuldigungen vor, die dazu Enten und Schwäne betrafen. Die Polizei bestätigte Notrufe, die von den Streifen vor Ort aber nicht verifiziert werden konnten.
Derweil nutzten Kreative die Gelegenheit, Donald Trump mit seiner Behauptung bei der TV-Debatte kräftig auf die Schippe zu nehmen:
Wer isst Katzen?
130 Kilometer von Springfield entfernt, in der Stadt Canton, aß eine Frau tatsächlich eine Katze. Die Polizei hielt die Festnahme der 27-jährigen Alexis Ferrell Anfang September mit einer Bodycam fest (die wesentlichen Momente ab Min 2). Medienberichten zufolge ist sie keine Einwanderin, sondern gebürtige US-Amerikanerin und eventuell psychisch krank oder war an jenem Abend vollgepumpt mit Drogen. Auf der Plattform X zeigt ein Video angeblich einen schwarzen Migranten in Italien, der auf einem zusammengebastelten Grill eine Katze röstet. Eine Frau beschimpft ihn auf Italienisch, dass so etwas hier nicht üblich sei. In einem anderen Video angeblich aus dem Ost-Kongo dreht ein Mann einer Katze den Hals um.
Ein weiterer Post zeigt einen seriös anmutenden Haitianreport, der der Frage nachgeht, ob Haitianer Katzen essen. Ja, eine Gruppe von Menschen täte dies, vor allem auf dem Land. Etwa am 24. Dezember bei dem landesweiten „Reveyon“-Fest, einer großen Weihnachtsparty. Ein Reveyon ohne Katzenfleisch sei wie Thanksgiving ohne Truthahn. Die Leute täten dies nicht, weil sie arm oder hungrig seien, sondern aus Tradition. In der Sklavenzeit, noch bevor Haiti ein Staat wurde, jagten und aßen etwa entlaufene Sklaven wilde Katzen. Das Essen von Katzen ist legal, denn für Haitianer sei Fleisch Fleisch – egal von welchem Tier. Auch Katzen betrachteten sie als Nutztiere, ihr Fleisch schmecke wie Hühnchen. Der Autor hat es nach eigenen Angaben selbst ausprobiert.
Auf YouTube gibt auch ein Haitianer, „Pr. James D“, der nach eigenen Angaben mit einer Amerikanerin verheiratet und inzwischen US-Bürger ist, Donald Trump teilweise: Ja, Haitianer äßen Katzen. Die meisten allerdings nicht. Doch gehörten bei traditionellen Voodoo-Zeremonien Tieropfer zum Ritual. Der TITEL des Videos ist IRREFÜHREND: Pr. James D spricht sehr differenziert über die Situation.
Pr. James D zeigt Verständnis mit den Einwohnern von Springfield, die Vorbehalte gegen Migranten haben, die auf eigenen Erfahrungen oder auf Hörensagen beruhen. Für ihn sind sie nicht automatisch Rassisten, sondern besorgte Bürger. Die Mitverantwortung dafür trägt in seinen Augen die Biden-Administration: Sie regele die Migration falsch – und ungerecht. Er erzählt von Verwandten, die auf legalem Weg kein Asyl oder keine Aufenthaltserlaubnis in den USA erhielten, diejenigen, die illegal die Grenze überschreiten, jedoch schon. Werden die, die Voodoo in ihrer Heimat praktizierten, dies in der Diaspora nicht mehr tun? Natürlich, argumentiert Pr. James D, werden sie an ihrer Tradition festhalten.
Der Blogger auf X, der den Haitianreport gepostet hat, endet dagegen seinen Artikel, indem er versichert, dass die meisten Haitianer gesetzestreue Menschen seien, die außerhalb Haitis niemals Katzen stehlen, töten und essen würden. „Wenn also ihre Katze verschwunden ist, beschuldigen Sie nicht ihren haitianischen Nachbarn. Haustiere verschwinden andauernd.“ Und er fügt beruhigend hinzu: „Wenn jemand Sie das nächste Mal zu einem haitianischen Weihnachtsessen einlädt: Genießen Sie es! Haitianer würden Ihnen niemals Katzenfleisch servieren, ohne es Ihnen zu sagen.“
Gegenwart
Ein solches Vertrauen wird in Springfield, Ohio, erst mühsam aufgebaut werden müssen. Dies obwohl Bürgermeister Rob Rue die Vorwürfe gegen die Migranten als haltlos zurückgewiesen hat. Die Behauptungen von Donald Trump und JD Vance und der darauf einsetzende Medienhype haben die Annäherung von Ansässigen und Zugewanderten um Jahre zurückgeworfen. Zudem überdecken sie die wirklichen Probleme, die aus der rasanten Zuwanderung in die Stadt erwachsen sind. Die Zeitung Dayton News in der Nachbarstadt Dayton hat über die Hintergründe ausführlich berichtet. Auf einer Stadtratssitzung in Springfield am 27. August beklagten Bewohner sich zum Beispiel unter anderem darüber, bei sozialen und medizinischen Dienstleistungen gegenüber Migranten benachteiligt zu werden. Der Generalstaatsanwalt von Ohio, Dave Yost, hat nun ein Untersuchung angeordnet, um herauszufinden, wie das „extreme Bevölkerungswachstum“ gestoppt werden könne.
Auf der gleichen Versammlung am 27. August sprach Drake Berentz, ein Mitglied der Neonazi-Gruppe Blood Tribe (Blutsbande), „ein warnendes Wort“, dass die Probleme mit Migranten gestoppt werden müssten. Dann wurde sein Mikrofon abgeschaltet. Er wurde von der Polizei hinausbegleitet. Am 10. August hatten etwa ein Dutzend maskierte Mitglieder des Blood Tribe, die mit Hakenkreuzen geschmückte Banner trugen, in der Innenstadt von Springfield einen Marsch gegen die haitianische Einwanderung“ veranstaltet. Einen Tag nach der TV-Präsidentschaftsdebatte machte der Anführer der Gruppe, Christopher Pohlhaus, bekannt als „Hammer“, auf seinem Telegram-Kanal geltend, sie hätten die Katzengerüchte in die Welt gesetzt. Donald Trump habe lediglich abgekupfert.
Die Nichtregierungsorganisation Haitian Bridge Alliance, die sich um schwarze Migranten kümmert, hat nun Strafanzeige gegen Präsident Trump und J.D. Vance erstattet. Beide hätten versucht, die haitianische Gemeinschaft in Springfield zu verleumden und zu bedrohen. Das Gericht solle sie zur Rechenschaft ziehen „für den verheerenden Schaden, den sie der Gemeinde von Springfield zugefügt haben und der sich auf Haitianer in den gesamten Vereinigten Staaten ausgewirkt hat.“
J.D. Vance ist mittlerweile zurückgerudert. „Es ist natürlich möglich, dass sich all diese Gerüchte als falsch herausstellen“, postete er. Vance scheint mit der Tierwelt kein Glück zu haben. Im Jahr 2021 hatte er sich den Unmut von Politikerinnen der Demokratischen Partei zugezogen, als er sie in einem Interview mit dem Fox News-Moderator Tucker Carlson als „einen Haufen kinderloser Katzenfrauen“ bezeichnete, die mit ihrem eigenen Leben und den Entscheidungen, die sie getroffen haben, unglücklich seien und deshalb auch den Rest des Landes unglücklich machen wollten. In dem aktuellen Wahlkampf schossen deshalb auf Facebook Gruppen namens Cat Ladies for Kamala Harris wie Pilze aus dem Boden, in denen Anhängerinnen der Demokraten, so wie Popsängerin Taylor Swift, ein Selfie von sich und ihrer Katze posten. Auf X hingegen ist eine Nutzerin unter dem Namen Cat Ladies for Trump aktiv.
Der Parodie-Song von The Kiffness „Eating the cats“ über Donald Trump mit dem eingängigen Sound ist zum Party-Hit geworden, zu dem auf Konzerten die Leute begeistert mitsingen und tanzen – und über ihren Köpfen Katzen aus Papiermaché schwenken.