Gastbeitrag: Film „Petra Kelly – Act Now!“ über Grünen-Ikone
Petra Kelly wuchs in den USA der 1960er Jahre auf. Als Studentin arbeitete sie im Wahlkampfteam von Robert F. Kennedy. Ihr Vorbild war Martin Luther King Jr. mit seiner Philosophie des zivilen Ungehorsams. Zu Beginn der 1980er Jahre mobilisierte sie in Deutschland Hunderttausende gegen die Stationierung von US-Atomraketen. Eine Filmrezension.
Von Clarissa-Diana de Grancy
Act now! nimmt uns mit in das Nachkriegsdeutschland – in eine Zeit der Protestaktionen, des Aufbruchs und der Selbstbefreiung. Eine Zeit, in der die Menschen begannen, nicht länger ungefragt zu akzeptieren, was ein politisches und gesellschaftliches System ihnen vorgab. Wir erleben Petra Kelly als streitbare Rednerin, die mit ihrem Kampfgeist und in ihrer Unbedingtheit all jenen eine Stimme gab, die für die Frauenrechte und den Frieden, für Umwelt und Menschenrechte auf die Straße gingen.
Idealistin
Petra Kelly auf Friedensdemonstrationen, Petra Kelly vor der UNO, Petra Kelly beim historischen Einzug der Grünen in den Bundestag, Petra Kelly mit Transparenten und Plakaten und an einem Tisch mit Erich Honecker. Zweifellos akribisch hat die Regisseurin Zeitzeugen-Interviews, Archivmaterial und private Fotografien zu einer soliden Gesamtkomposition zusammengefügt, die doch eines nicht verbergen kann: das Bemühen, die unerschrockene Idealistin mit der Aura der Unantastbarkeit zu umgeben.
Zahlreiche Close-ups auf das Gesicht von Kelly markieren den Versuch, die Politikerin nahbar zu zeigen. Dabei scheint es, als gäbe es eine zweite, eine andere Petra Kelly, die sich dem Kamera-Auge gleichsam entzieht. Was ins Licht will, verschiebt sich ins Dunkel. Widersprüche werden im Film nicht aufgelöst – stattdessen kommen neue hinzu. Der indigene Aktivist Milo Yellow Hair aus Süddakota, Grünen-Mitbegründerin Eva Quistorp, die US-amerikanische Frauenrechtlerin Cora Weiss, die ehemaligen Grünen Lukas Beckmann und Otto Schily – einige ihrer wesentlichen politischen Weggefährten kommen im Film zu Wort. Doch lädt die Auswahl der O-Töne und deren Einbettung in den Gesamtzusammenhang zur kritischen Betrachtung ein. Was wird gezeigt, was suggeriert?
Eva Quistorp* stand bei der Gründung der Grünen – und bereits vorher in der Anti-Atom- und Frauenbewegung – international und im Bundesvorstand eng an der Seite von Petra Kelly. Quistorp war es, die als erste ihre Freundin und Vertraute für die feministische Frauenzeitschrift Courage interviewte. Die beiden verband eine Frauenfreundschaft, die als zukunftsrelevanter Gegenpol für subtil agierende Männerbünde stehen könnte, die auch in der Grünen Partei die Oberhand gewannen.
Im Film sucht die spätere Grüne Europa-Abgeordnete Quistorp den Klingelknopf an der Tür der Heinrich-Böll-Stiftung. Eingekeilt zwischen zwei Archiv-Wänden – plakative Historizität – soll die einstige Weggefährtin erzählen. Wir erfahren von ihrem letzten Gespräch mit Petra Kelly einige Tage vor deren Ermordung in der Nacht zum 1. Oktober 1992. Sowie von ihrem Gespräch mit Petra Kellys Großmutter nach dem Tod ihrer Enkelin – eine Tragödie, die bei der anschließenden Bundespressekonferenz als “Doppelselbstmord” deklariert wurde. Dieser Interpretation hatte Eva Quistorp mit einem Zwischenruf widersprochen – den damals, als einziges Medium, nur die New York Times in einem Interview aufgriff. In Act now! bekommt demgegenüber heute Lukas Beckmann viel Raum, um seinen „Fehler“ bei der Trauerfeier einzuräumen: Er war es, der damals bestimmt hatte, Mörder und Frauenopfer gleichermaßen zu ehren.
Vorbild für heute?
Die Kamera unterdessen scheint sich nicht festlegen zu wollen – erst bei der Friday-for-Future Aktivistin Luisa Neubauer und Otto Schily entscheidet sie sich für Augenhöhe und dezente Wertschätzung. Gestern und Heute – Schwarz und Weiss. Die Regisseurin macht von dieser Holzschnitt-Technik immer wieder Gebrauch und schwächt dadurch den notwendigen Blick auf parteigeschichtliche Zusammenhänge. Zugleich ergibt sich durch dieses Stilmittel eine Überhöhung – wodurch das Portrait nicht nur der Porträtieren selbst nicht gerecht wird: Auch Luisa Neubauer, im Film gefeiert als moderne Ikone auf dem Olymp der Umweltbewegung, bleibt in ihrer Persönlichkeit seltsam blass.
Kann man überhaupt die Arbeit einer Politikerin im Bundestag mit den Erfolgen einer Aktivistin gleichsetzen, die sich an der Spitze einer Graswurzelbewegung engagiert? Doris Metz tut genau das. Dabei wirkt der Wechsel zwischen den Erinnerungsfragmenten an Petra Kelly und den dazwischen geschnittenen Gegenwartsbezügen zur Fridays-for-Future-Bewegung wie ein wechselseitiges Echo, das nicht so recht zusammenpassen will. Vielmehr scheint es darum zu gehen, Parallelen zu finden, um die Tradition politischen Engagements in den Personen Kelly und Neubauer dingfest zu machen.
Die innerparteilichen Verwerfungen, denen Petra Kelly sich vor allem während ihrer letzten Jahre in der Politik ausgesetzt sah, werden im Film großflächig ausgespart. In konsequenter Weichzeichnung entfernt der Film sich zudem von Widersprüchlichkeiten, die Kelly nicht nur in ihrer politischen Arbeit ausmachten. Dies alles darf offenbar sein, wenn eine Person in ihrer Unantastbarkeit, mariengleich, dargestellt werden soll. Doch zu einem Portrait, das eine Persönlichkeit in all ihren Facetten zeigen möchte, gehören nun mal auch historische Bezüge, Interferenzen und unbequeme Wahrheiten.
Warum erfährt der Kinobesucher nichts über die Schattenseiten im politischen Werdegang des Generals a. D. Gert Bastian – Kellys Lebensgefährten, der sie allen Indizien nach im Schlaf erschoss, bevor er sich selbst umbrachte? Warum bleiben Zugänge zu der komplexen Psyche von Petra Kelly verwehrt, und zu der Persönlichkeit, die sie abseits ihrer öffentlichen Rolle als Politikerin war? Ina Fuchs, ehemalige Büroleiterin Gert Bastians, versäumt es, die damalige These des Doppelsuizids einer Korrektur zu unterziehen. Was ist relevanter: die Tatmotive des Gert Bastian – oder die epische Beschreibung, unter welchen Umständen zwei Tote aufgefunden wurden? Radikale Bewegungen wie Extinction Rebellion, sagt Fuchs, könnten sich heute der Unterstützung durch Petra Kelly, würde sie noch leben, gewiss sein. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Kelly sich gerade diesen Gruppierungen nicht angeschlossen und sie stattdessen sogar kritisiert hätte – weil sie eben nicht in der gewaltfreien Tradition eines Martin Luther King Jr. stehen, der Kelly seit ihrer Zeit in den USA und im Wahlkampfteam von Robert Kennedy anhing.
Die Grünen
“Petra Kelly hat die Grünen gemacht, aber die Grünen haben nicht Petra Kelly gemacht”, sagt der frühere Grünen-Politiker Otto Schily. Wie schafft es dieser Satz in den Film? Ein Ausspruch, mit dem Schily seiner einstigen Weggefährtin Anerkennung zollt und zugleich die Lesart zulässt, Kelly allein hätte die Grünen gegründet und zu einer politischen demokratischen Kraft geformt – und dabei im Windschatten der Partei ihr eigenes Ding gemacht. Ein Zerrbild: Bei Petra Kelly, die sich zwar, US-amerikanisch geprägt, exzellent zu inszenieren verstand und ehrgeizig war, standen dennoch – abseits jeden Egozentrismus – die umwelt- und gesellschaftspolitischen Ziele im Vordergrund, für die sich auch viele Parteikolleginnen und Parteikollegen stark machten.
Inspiration
Vier Jahre haben Regisseurin Doris Metz und ihr Team gebraucht, bis das filmische Portrait der legendären Grünen-Politikerin sein Entree in die Kinos fand. Trotzdem verpasst der Dokumentarfilm an vielen Stellen die Chance, einen neuen Blick auf Altbekanntes zu wagen und lässt den Betrachter mit mehr Fragen als Antworten zurück.
Act now! bietet jedoch insofern Inspiration, als wir in ein tieferes Nachdenken über die Persönlichkeit Petra Kelly gelangen – was sie ausmachte, was sie umtrieb und warum sie, viel zu früh, sterben musste. Ein Erinnern, ein Nachspüren, in das wir ohne dieses filmische Werk womöglich nicht hineingefunden hätten. Ähnlich wie Torsten Körner in seinem Film Die Unbeugsamen (2021) stellt Doris Metz in Act now! klar, dass es Pionierinnen der Umwelt- und Frauenpolitik gab, die in der heutigen Influencer-Mediengesellschaft nicht untergehen dürfen.
“Time is running out”, sagt Petra Kelly, als ein britischer Journalist von ihr wissen will, warum sie so schnell spreche. So erinnert sie uns daran, dass wir jetzt das tun dürfen, was zur Erhaltung der Demokratien und der Umwelt- und Frauenrechte nötig ist. Die Atemlosigkeit der Petra Kelly verweist auf eine Tatsache, die damals wie heute Gültigkeit besitzt: Wir müssen JETZT aktiv werden. Und bei uns selbst anfangen.
Clarissa-Diana de Grancy ist Mitherausgeberin des Fachmagazins Aufsichtsrat aktuell, geschäftsführende Gesellschafterin der WOMEN’S BOARDWAY GmbH und Mitglied im Beirat der Europäischen Künstlergilde für Medizin und Kultur.
Gastbeiträge geben nicht automatisch die Meinung der Blogbetreiberin wieder.
*Lesen Sie auch Eva Quistorps „Du fehlst!“ – Ein persönlicher Brief in meinem folgenden Text: