Gastbeitrag Kommentar Politik Welt

Plädoyer für Ungarns Entwicklungshilfe

Trotz der Vorwürfe, Ungarn betreibe eine rassistische Migrationspolitik, unterstützt die Regierung ausgewählte afrikanische Länder mit Entwicklungshilfe.

Gastbeitrag von Volker Seitz zur Politik Ungarns in Afrika

Am 1. Juli 2024 übernahm Ungarn den Ratsvorsitz der Europäischen Union. Ministerpräsident Viktor Orbán ist vielen Mitgliedsländern ein Dorn im Auge, unter anderem wegen seiner restriktiven Migrationspolitik. Ungarn leiste wertvolle Hilfe für afrikanische Länder, meint der Autor.

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Viktor Orbán ©tiburi

Von Volker Seitz

Seit Victor Orbáns Kritik an der europäischen Migrationspolitik und seiner Aussage, dass europäische Politiker „die Migranten ermutigen und den Eindruck erwecken, dass es sich lohnt loszuziehen“, wird in den europäischen Medien behauptet, dass Rassismus zum Alltag in Ungarn gehört. Orbán hat sich seit 2015 geweigert, illegale Migranten aufzunehmen, da sie als „Bedrohung für die öffentliche Sicherheit“ angesehen werden. Wie Victor Orbán kürzlich auf der Konferenz der des Nationalen Konservatismus (NatCon) in Brüssel sagte, gibt es bis heute keine illegalen Einwanderer (z.B. aus Afrika) in seinem Land. Anderseits engagiert sich die Regierung Orbán zunehmend in einzelnen Ländern Afrikas. Wie passt das zusammen? 

Kaum jemand nimmt zur Kenntnis, dass in den letzten Jahren tausende Afrikaner nach Ungarn gekommen sind, um an angesehenen Hochschulen zu studieren. Ungarn hat auch hunderte von Studenten aus Ghana aufgenommen, die aus der Ukraine bei Kriegsbeginn geflohen sind. Den Studenten wurde angeboten, die gleichen günstigen Studiengebühren wie in der Ukraine zu zahlen. Gehen Afrikaner  in ein „rassistisches Land“?

Derzeit leben ca. 8.000 Afrikaner in Ungarn, davon studieren 2.600 von ihnen –  aus 25 Ländern Afrikas – an ungarischen Universitäten. Einige hundert – eine genaue Zahl ist mir (noch) nicht bekannt – haben Stipendien des ungarischen Staates erhalten.

Einige praktische Beispiele für ungarisches Engagement

Uganda

Ungarn hat dazu beigetragen, den Finanzsektor Ugandas gegen Cyberangriffe zu stärken und das System mobiler Zahlungen zu sichern. Das Cybersicherungsprojekt wurde vom ungarischen Staat mit 3,9 Millionen Euro finanziert und von einem ungarischen Unternehmen durchgeführt.

Ferner hat Ungarn im größten Flüchtlingslager in Uganda den Bau von drei Schulen finanziert, bei der Modernisierung des öffentlichen Verwaltungssystems geholfen, ein mobiles Gesundheitszentrum sowie ein Krankenhaus für Kardiologie eingerichtet.

Tschad

Die 2019 gegründete Agentur „Hungary Helps“* hat kürzlich in N’Djamena, der Hauptstadt des Tschad, ihr erstes Repräsentationsbüro für humanitäre Hilfe auf dem Kontinent eröffnet. „Hungary Helps“ will – nach eigener Darstellung – durch Nothilfe dazu beitragen, dass Menschen nicht in die Emigration getrieben werden. Hilfe solle dorthin gehen, wo Probleme sind und nicht Menschen in einer Notlage nach Europa bringen. Die Maxime ist, die dortige Bevölkerung einzubinden und Projekte schnellstmöglich in deren Hände zu geben.

Immer noch schlägt der rechtsliberalen Regierung Orbán aus der EU Misstrauen entgegen. Zuletzt im März 2024, als sich Ungarn mit 200 Soldaten (mit Victor Orbáns Sohn Gáspár, ausgebildet an der Royal Military Academy Sandhurst) an friedenssichernden Maßnahmen im Tschad beteiligte. Besonders Frankreich ist verärgert, weil sich die Regierung Orbán nicht mit Frankreich abgesprochen hat.

Die ungarischen Militärs sind im Rahmen eines bilateralen Abkommens in den Tschad gekommen. Wenn deutsche Medien – im Sinne Frankreichs – den ungarischen Soldaten jeweils fehlende Ortskenntnis, Erfahrung mit komplizierten ethnischen Konflikten oder Kommunikation vorwerfen, dann haben sie wohl die Kongo-Mission der Bundeswehr in den Jahren 2003 bis 2014 verdrängt. Bis heute gibt es keine umfassende Darstellung des Einsatzes, weder für den Bundestag noch für die Öffentlichkeit.

Noch immer sind im Tschad rund 1.000 Franzosen stationiert. Paris unterhält seit der Unabhängigkeit in der Hauptstadt seiner früheren Kolonie N’Djamena (früher Fort Lamy) einen seiner größten Militärstützpunkte. Frankreich kontrolliert seit jeher den Tschad und betrachtet ihn als sein Einflussgebiet (sa chasse gardée). 

Französische Politiker sind offenbar noch nicht bereit, ihre Einflussmöglichkeiten in der ehemaligen Kolonie Tschad zu verlieren. Den französischen Interessen genehme Präsidenten an der Macht zu halten, hat aber dem Ansehen der ehemaligen „Grande Nation“ (Selbsteinschätzung) sehr geschadet. Die Staatsstreiche in Guinea, im Niger, in Mali und in Burkina Faso hatten jeweils verschiedene Hintergründe, aber überall jubelten die Menschen den Putschisten zu; oft brannten bei diesen Demonstrationen französische Fahnen, verbunden mit dem Slogan „A bas la France“ („Nieder mit Frankreich“). 

Die Regierung des Tschad bleibt eine der letzten Verbündeten der Franzosen. Die antifranzösische Stimmung in der Sahelregion hat den Tschad noch nicht erreicht. 

Sierra Leone

Bei einem Wirtschaftsforum mit dreißig ungarischen Unternehmen wurde mit Hilfe der Universität für Agrar- und Biowissenschaften (MATE) eine Zusammenarbeit mit Sierra Leone in den Bereichen Ernährungssicherheit (Lebensmittel) und Landwirtschaft vereinbart. MATE forscht in Bereichen wie dem Anbau von Kulturpflanzen, der Nahrungsmittelsicherheit und nährstoffreichen Pflanzen sowie nachhaltigem Wassermanagement.

Hinzu kommen Investitionen, um den Zugang zu sauberem Trinkwasser für mehr als 300.000 Menschen zu gewährleisten.

84 Studenten aus Sierra Leone studieren bereits in Ungarn.

Fazit

Victor Orbán ist demokratisch mit großer Mehrheit gewählt und hat offensichtlich die Unterstützung der Mehrheit der Ungarn, seine Auffassung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen. Die obigen bilateralen Beispiele – Ungarn gewährt auch öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) über multilaterale Kanäle (IWF, Weltbank, UN-Institutionen) in Form von finanziellen Beiträgen, obligatorischen Mitgliedsbeiträgen und freiwilligen Beiträgen – zeigen, dass die medial inflationär gemachten Unterstellungen gegen Ungarn etwa im Verhältnis zu Afrikanern unfair sind.

Da die Mittel  begrenzt sind, konzentriert sich das Land auf ausgewählte Bereiche und Projekte (siehe oben). Für Ungarn ist die beste Form von Entwicklungsbeistand technische Hilfe, Förderung von Bildung, Weiterbildung und die Entsendung von Fachleuten. 

Anders als bei uns gilt es nicht als falsch, wirtschaftliche Interessen bei entwicklungspolitischen Entscheidungen zu berücksichtigen. 

* Hungary Helps beschreibt sich selbst als „unabhängige Regierungsbehörde, die als gemeinnützige Einrichtung arbeitet“.

Dieser Text erschien erstmals bei Achgut. Volker Seitz war von 1965 bis 2008 für das deutsche Auswärtige Amt tätig, darunter siebzehn Jahre als Botschafter in Afrika. Er gehört zum Initiativkreis des „Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe“ und ist Autor des Bestsellers Afrika wird armregiert (dtv, inzwischen in aktualisierter und erweiterter 11. Auflage).


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