Gastbeitrag Politik

Weiße Fahnen für den Frieden?

Wie Menschen in Deutschland, die gegen Krieg und für Frieden sind, sich Sichtbarkeit verschaffen können.

Ein Gastbeitrag von Martin Ruthenberg

In der deutschen Politik und etlichen Medien seit einiger Zeit die Rede davon, dass Bürger „kriegstüchtig“ werden sollen. Stimmen, die Frieden fordern, scheinen in der Minderheit. Oder sind sie in der Öffentlichkeit bislang „nur“ kaum sichtbar?

Weiße Flagge für den Frieden ©privat

Von Martin Ruthenberg

Im Herbst vor drei Jahren bin ich aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausgestiegen. Ich hatte es satt, zu einer BerichtErstattung beizutragen, die mich selbst als Teil einer Minderheit ins Abseits drängt. Sich dort wiederzufinden, ist eine Erfahrung, die ich mit etwa einem Drittel der Menschen unserer Gesellschaft teilen dürfte – und die sich seitdem unter anderen Vorzeichen wiederholt und wie Mehltau über das Leben legt. Über meines und das der Menschen, denen ich mich verbunden fühle.

Seitdem ich mich als als NestBeschmutzer hervorgetan habe, treibt mich die immer gleiche Frage um: Wie können Minderheiten ihren Platz im öffentlichen Raum zurückgewinnen, von dem sie die vorherrschenden willfährigen Medien verbannt haben?

Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass Internet und Digitalisierung allein hier ins Leere laufen. Wer sich eingehender mit den FallStricken und derzeitigen Strukturen dieser künstlichen Welt befasst hat, den wird das kaum überraschen. Ich sage: Die Lösung liegt auf der Straße. Dabei denke ich weniger an Demos und lautstarke Kundgebungen. Bislang haben die kaum etwas gebracht. Das ist hinlänglich bekannt und die Gründe dafür sind es auch.

Mit der Straße meine ich den Ort mit den Menschen, die uns täglich begegnen. Mit ihnen gilt es, in Kontakt und vielleicht ins Gespräch zu kommen. Aber reicht das angesichts einiger einflussreicher Leute, die mit Worten und Taten den dritten Weltkrieg heraufbeschwören wollen? Man muss kein Pazifist sein und KriegsdienstVerweigerer wie ich, um zu erkennen, dass Deutschland daraus keinesfalls als Sieger hervorgehen wird. Stattdessen drohen Zerstörung und unermessliches Leid. Auch anerkannte Militärs und Diplomaten vertreten diese Ansicht.

Diejenigen, die jetzt nach FriedensVerhandlungen rufen, werden ebenfalls ins öffentliche Abseits gedrängt. Handelt es sich dabei „nur“ um eine Minderheit? Die meisten Menschen wollen Frieden. Das ist mein Eindruck – und es spricht alles dafür. Die KriegsTreiber scheint das jedoch kalt zu lassen. Warum? Die Antwort liegt für mich auf der Hand: Die Verbundenheit der friedliebenden Menschen ist in der Öffentlichkeit bislang kaum sichtbar. Die Verantwortung dafür, das zu ändern, liegt bei jedem einzelnen. Eigentlich ist das längst klar. Nur, wie kann das auf einfache Weise schnell geschehen?

Diese Frage bohrt immer noch in mir, als ein Freund mir ein Foto von sich schickt: Eine weiße Fahne in der Hand, hat er sich in MilitärKlamotten vor dem Grab seines Vaters aufgepflanzt. Ich sehe das und habe einen GeistesBlitz: Das ist es: eine weiße Fahne! So was kann jeder, das kostet (fast) nichts und geht schnell. Gesagt, getan.

Weiße Fahne für den Frieden ©Rebecca Hillauer

Zwei Tage später hängt so ein Teil vor meinem KüchenFenster. Dazu schreibe ich einen knappen Beitrag in meinem Blog und verbreite ihn in meinem Netzwerk. Wenn’s gut läuft, wird das ein SelbstLäufer, denke ich und will mich um andere, durchaus lebenswichtige Dinge kümmern.

Das Echo erstaunt mich. Die meisten finden die Idee gut und tragen sie weiter. Aber es gibt auch kritische Stimmen. Sie sind es, die nach einer Antwort rufen. Deswegen schreibe ich das hier. Dass Weiß so etwas wie ein rotes Tuch sein könnte, damit hatte ich nicht gerechnet. Es gebe doch längst die blaue Fahne mit der weißen Taube drauf. Jetzt die Marke zu wechseln, komme einer Spaltung gleich, sagen die einen.

Ich war schon in den 80ern auf der Straße, weil die Amis damals ihre Pershing-Raketen in Deutschland stationieren wollten. Trotzdem war mir diese FriedensFahne überhaupt nicht in den Sinn gekommen, warum auch immer. Wer sie ‚raushängen möchte, soll das gerne tun. Weiß verträgt sich wunderbar mit Blau. Weiß ist eigentlich keine Farbe und für mich das kraftvollere Symbol. Es steht für das weiße Licht, in dem alle Farben aufgehen.

Weiße Fahnen stünden für eine Kapitulation, erinnerten viele Menschen an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und traumatisierten sie damit erneut, sagen andere. Ich meine, Traumen verlieren ihre Kraft, wenn wir den Betroffenen Gelegenheit geben, über ihre Erlebnisse zu sprechen, und wir ihnen dabei aufmerksam zuhören. Dies weiter nur den Therapeuten zu überlassen, heißt, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Und was ist so schlimm an einer Kapitulation? Wer in einem Krieg die weiße Fahne hisst, will aufhören zu kämpfen. Wir befinden uns im Krieg. Leben bedeutet Kampf, lautet der GlaubensSatz, der bis heute diesen Planeten beherrscht. Jedem Glauben liegt eine Entscheidung zugrunde, bewusst oder unbewusst. Die unbewussten GlaubensSätze sind es, die uns zu schaffen machen, auch denjenigen, die für Frieden sind. Viele von ihnen laufen als Kämpfer durch’s Leben, gehen sogar als fragwürdiges Beispiel voran. Deswegen ist es so wichtig, sich selbst auf die Schliche zu kommen. Wenn’s sein muss Tag für Tag.

Flagge zu zeigen in Form einer weißen Fahne, bedeutet für mich deshalb zunächst: Ich will aufhören zu kämpfen in einem Land, das einem anderen den Krieg erklärt hat. Mögen viele diese Botschaft teilen.


Martin Ruthenberg war seit den 1990er Jahren beim öffentlich-rechtlichen Rundfunksender SWR als Moderator und Sprecher tätig. Aus Unzufriedenheit mit der in seinen Augen einseitigen Berichterstattung über die Corona-Politik der Bundesregierung stieg er dort im Jahr 2021 aus. Gemeinsam mit Gleichgesinnten startete er das freie Online-Medium wirsindmedien.de.

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