Muslimische Welt Politik

Naher Osten: Blick zurück auf eigene Erfahrungen

Wie sich meine Einstellung zum Nahost-Konflikt durch persönliche Erfahrungen immer wieder verändert hat.

Mit meinen persönlichen Erlebnissen hat sich auch mein Blick auf den Nahost-Konflikt über die Jahre gewandelt.

Ich habe fast sieben Jahre in Ägypten gelebt, und war dort unter anderem für die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (jetzt GIZ) als Beraterin für Frauenförderung tätig. Den Terror der Hamas verurteile ich ebenso wie die Migrationspolitik der Bundesregierung, die den Judenhass muslimischer Migranten ignoriert. Auch Israel sehe ich mitverantwortlich am Nicht-enden-wollen des Konflikts.

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Es war einmal… El Arish, Sinai ©Rebecca Hillauer

Die Anfänge

Trotz meines Vornamens bin ich keine Jüdin. Heutzutage ist es müßig, dies zu erklären. Rebecca oder Rebecka oder Rebekka ist ein gängiger Mädchenname. In den 1960er Jahren, als ich eingeschult wurde, war das noch anders. An der Volksschule in Nürnberg war ich die einzige, die so hieß, und die einzige überhaupt mit einem nicht typisch deutschen Namen. Dementsprechend wurde ich lange Zeit gehänselt. Ob deswegen, weil mein Name hebräisch ist und ich als jüdisch gesehen werden konnte, oder einfach, weil er ein damals ungewöhnlicher fremdländischer Name war, weiß ich nicht. Auch nicht, wann die Zeit der Hänseleien zu Ende ging, oder warum. Vielleicht, weil ich gut in der Schule war, meine Schneebälle in den Hofpausen ihre Ziele trafen, oder ich als erstes Mädchen an der Schule statt eines Rockes eine Hose trug. „Beat-Hose“ sagte man dazu, in Anlehnung an The Beatles, die vielen Erwachsenen damals des Teufels wähnten.

In der Oberstufe des Gymnasiums wählte ich als meine zwei Leistungsfächer Englisch und Neuere Geschichte. Und zwar die Geschichte des Nationalsozialismus. Ich litt mit der fiktiven jüdischen Berliner Arztfamilie Weiss in der US-amerikanischen TV-Mini-Serie „Holocaust. Die Geschichte der Familie Weiss“. Und natürlich las ich Leon Uris‘ Roman „Exodus“. Und fieberte mit Paul Newman, der in dem gleichnamigen Hollywoodfilm als blauäugiger Ari Ben Kanaan im Jahr 1947 mit dem Schiff „Exodus“ 4000 jüdische Flüchtlinge, darunter viele Waisenkinder, ins britische Mandatsgebiet Palästina bringen will. Die Operation geschieht unter Aufsicht der Haganah, einer real existierenden zionistischen paramilitärischen Untergrundorganisation, die nach der Gründung des Staates Israel in die Israelischen Verteidigungskräfte überführt wurde.

Ankommen in einer fremden Welt

Als ich im Dezember 1986 mit einem Segelschiff im nordisraelischen Akko eintraf, war es für mich klar, auf welcher Seite ich im Nahost-Konflikt stand. Das erste, was ich bei der Landung im Hafen hörte, war jedoch der Ruf eines Muezzin. Ich liebte den Klang. Ich reiste durch Israel, die Westbank, den Sinai und weiter nach Kairo. Von dort wollte ich nach Kenia. Doch am Vorabend meiner Weiterreise in den Sudan trat ich in der Qasr Al-Aini Straße in ein tiefes Loch, wie es sie in der Stadt viele auf den Fahrbahnen und den Bürgersteigen gab. Mein linker Fußknöchel war verstaucht. Im Qasr Al-Aini Krankenhaus packten sie ihn in Gips, und ich durfte einen ganzen Monat lang, vor diversen Straßencafés sitzend, die Welt an mir vorbei ziehen lassen – statt selbst weiter zu ziehen. Nachdem der Gips ab war, war es vorbei mit den Café-Stühlen wie auch mit meinen Afrikaplänen. Ich blieb in Ägypten und wurde langsam heimisch in dieser für mich fremden Welt.

Immer wieder sagten mir einfache Leute von der Straße, Taxifahrer etwa, wenn Sie hörten, dass ich Deutsche war: „Deutschland gut, Hitler hat die Juden vergast.“ Meine verbalen Proteste, dass ich diese Tatsache und Hitler nicht so gut fände, wurden höflich überhört. Mein hebräischer, sprich vermeintlich jüdischer Name wurde nie Thema und nie zum Problem. Waren die Leute zu dumm, um den Ursprung des Namens zu erkennen? Eine Frage, auf die ich keine Antwort weiß.

Im Gazastreifen

Der Grenzübergang von Ägypten nach Israel bei Rafah im Gazastreifen war zu jener Zeit noch offen. Dorthin gelangte man von Kairo aus ganz einfach in einem Sammeltaxi. Das waren meist woanders ausgediente Mercedes. Sie fuhren bis zum Suezkanal und weiter über die Sinai-Halbinsel bis an den Grenzübergang. Irgendwann muss ich auch in ein solches Taxi gestiegen sein. Denn ich stand plötzlich in der Grenzstadt Rafah und suchte nach einem Hotel. Als ich an die Türe klopfte, öffnete niemand. Es war auch sonst ungewöhnlich still, die Straßen waren leer. Endlich tauchten zwei arabische Männer auf und fragten, was ich hier wolle. Sie blieben vermutlich freundlich, weil sie meinen ausländischen, nicht-israelischen Akzent hörten. Meiner Erklärung lauschten sie mit ungläubigen Blicken. Ob ich nichts von der Intifada gehört hätte? Hotels seien alle geschlossen. Bald würde die Ausgangssperre beginnen. Was tun?

Einer der Männer nahm mich kurzer Hand mit zu sich nach Hause. Drei Tage lang war ich bei ihm und seiner Familie zu Gast. Die Tochter sprach ausgezeichnet Englisch. Nachts, wenn Ausgangssperre war, schaute ich mit ihr aus dem Fenster und sah auf der Straße israelische Soldaten teils in Jeeps patroullieren. Ein bedrückendes Gefühl. Während ich hinaus schaute und tagsüber mit der Familie zusammensaß, aß und redete, änderte sich meine Perspektive auf den Nahost-Konflikt. Wie politisch uninteressiert muss ich damals gewesen sein, um nichts von der Intifada gehört zu haben? Jemand, dem ich kürzlich genau diese Frage stellte, antwortete mir: „Zum Glück warst du naiv. Andernfalls wärest du vermutlich nie dorthin gegangen und hättest das nicht erlebt.“ Fürwahr.

Diese Erste Intifada begann am 8. Dezember 1987 und wurde „Krieg der Steine“ genannt, weil Kinder und Jugendliche mit Gummischlingen Steine auf israelische Soldaten schossen. Scheich Ahmed Yassin gründete die Hamas als politischen Arm der radikal-islamischen Muslimbruderschaft. Im Jahr 1973 hatte er in Gaza die Hilfsorganisation ins Leben gerufen.

Palästinenser und die arabische Welt

Zurück in Ägypten, war ich überrascht, von Intellektuellen zu hören, dass die Palästinenser nicht sehr populär seien in den übrigen arabischen Ländern oder, besser ausgedrückt, unerwünscht von den Regierungen. Ihnen gälten Palästinenser als Trouble Maker, sagten meine Gesprächspartner. Mit der Ansiedelung von palästinensischen Flüchtlingen hätten sich arabische Staaten teilweise erhebliche Probleme importiert. Im Libanon etwa wären die Palästinenser in den 1960er- und 70er-Jahren zu einer Art Staat im Staat geworden. Ihre andauernden Terrorangriffe auf Israel zogen den Libanon dann in einen Krieg, als Israel 1982 dort einfiel, um die PLO aus dem Libanon zu vertreiben. Jassir Arafat siedelte seine Palästinensische Befreiungsorganisation daraufhin in der tunesischen Hauptstadt Tunis an. Nachdem im September 1985 in Zypern bei einem Terroranschlag der PLO drei israelische Zivilisten getötet worden waren, bombardierte die israelische Luftwaffe zur Vergeltung das PLO-Hauptquartier in Tunis. In Folge verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Tunesien und den USA.

Nach den aktuellen Terroranschlägen der Hamas appelliert nun Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu an den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah as-Sisi, den Grenzübergang von Gaza nach Ägypten für palästinensische Flüchtlinge zu öffnen, damit Israel dann eine Bodenoffensive gegen die Hamas im Gazastreifen starten kann. Es geht um denselben Grenzübergang bei Rafah, den ich während der Ersten Intifada benutzt hatte. Er ist der einzige Grenzübergang, den Israel nicht kontrolliert. Dass as-Sisi statt ihn zu öffnen, die Grenzsperrung sogar mit Betonelementen verstärken ließ, ist alles andere als überraschend. Im Gegensatz zu den Regierenden in Deutschland und der Europäischen Union ist der Autokrat in Kairo sich klar darüber, dass mit den Flüchtenden auch Terroristen, in diesem Fall der islamistischen Hamas, in sein Land einsickern könnten. Und: Die Hamas hat ihre Wurzeln in der Muslimbruderschaft, die 1928 in Ägypten entstand und der ideologische Erzfeind as-Sisis ist. Kairo bekämpft zudem seit zwanzig Jahren islamistische Terroristen auf der Sinai-Halbinsel, die dort Touristenhochburgen, Militär und Zivilisten angreifen und deren Ideologie sich weitgehend mit der der Hamas deckt.

Von der Entwicklungszusammenarbeit zum Journalismus

Ich habe anderthalb Jahre im nördlichen Sinai gelebt, als es dort noch friedlich war. Danach arbeitete ich einige Jahre als Beraterin in einem Stadtentwicklungsprojekt in Assuan, im erzkonservativen Südägypten. Ich lernte, dass ich als Ausländerin wenig verändern würde im Land. Veränderungen, davon bin ich überzeugt, müssen von innen kommen, um nachhaltig zu sein. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland ko-organisierte ich zwei Filmreihen mit Werken arabischer Regisseurinnen – als Gegenbilder zum Klische „der“ fügsamen arabischen Frau. Und nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 versuchte ich, nun als Journalistin, durch meine Artikel sowie mein Buch über arabische Filmemacherinnen, das just im Jahr 2001 erschien, die Stereotype über Araber als Terroristen zu brechen. Hatte ich doch in der arabischen Welt Freigeister, Atheisten, Säkulare, Oppositionelle, Karrierefrauen und Homosexuelle getroffen. Die meisten Medien erwiesen sich jedoch am Gegenteil interessiert. Artikel über Steinigungen im Iran verkaufte ich wie warme Semmeln.

Im Jahr 2005 erschien die englischsprachige Ausgabe meines Buchs, Encyclopedia of Arab Women Filmmakers, bei der American University in Cairo Press. Ich kann es im Rückblick kaum glauben, aber ich gab in Kairo sogar ein Interview auf Arabisch! Mein Gestammel muss in den Ohren der Einheimischen grässlich geklungen haben. Egal. „In deinem Buch haben wir Filmemacherinnen nun endlich einen Platz bekommen“, sagte mir die inzwischen verstorbene Regisseurin Nabiha Lotfy.

Im Westjordanland

Das Goethe-Institut in Kairo lud mich ein, das Buch im Westjordanland vorzustellen. Der Anlass war das erste International Women’s Film Festival in Ramallah im September 2005. Die Zweite Intifada war seit Februar des Jahres zu Ende. In Nablus, Ramallah, Bethlehem und Hebron sollte ich an Universitäten und in Kulturzentren über das Buch und meine Motive sprechen. Es gab jedoch wieder Unruhen, so dass es nur zu einem einzigen Vortrag kam. Umso mehr Zeit blieb mir für Gespräche mit säkularen Aktivistinnen. Leute führten mich zu Häusern, in denen sie ihren Angaben nach früher einmal gelebt hätten, die aber vom israelischen Militär mittels Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht worden wären. Zum ersten Mal sah ich ein Stück der bis zu acht Meter hohen Betonmauer, die Israel im Zug der Intifada ab 2002 entlang seiner Grenze mit dem Westjordanland errichten ließ. Und zwar fast ausschließlich auf palästinensischem Boden, weswegen sie der Internationale Gerichtshof in Den Haag für völkerrechtswidrig erklärt hat.

Nach dem Frauenfestival im Ramallah blieb ich noch eine Woche in Jerusalem und traf in Tel Aviv eine israelische Frauen- und Friedensaktivistin, die ich zwei Jahre zuvor in Berlin interviewt hatte. Bei der Ausreise musste ich auf dem Flughafen Tel Aviv den gesamten Inhalt meines Koffers ausleeren. Und wieder neu packen. Danach in einem Kabuff zwei israelischen Sicherheitsbeamten in allen Einzelheiten erzählen, was ich im Westjordanland gemacht hatte. Es half auch nicht, dass ich auf das Einladungsschreiben des Goethe-Instituts verwies. Als sie wieder gegangen waren, hieß es für mich: warten. Ich wartete, sehr lange. Und wurde unruhig. Mein Flugzeug flog bald ab. Endlich wurde ich von einer Sicherheitsbeamtin „entlassen“ – gerade so rechtzeitig, dass ich noch knapp mein Flugzeug erreichte. Ich verstehe die Sicherheitsbedenken Israels, bloß: Was nützen solche Schikane?

Gegenwart

Seitdem sind 18 Jahre vergangen. Radikal-islamistische Gruppen haben sich bis nach Schwarzafrika ausgebreitet, und in Europa sind Angriffe und Morde durch fanatische Muslime keine Einzelfälle mehr. Juden werden gezielt auf der Straße attackiert. Nach dem jüngsten Überfall der palästinensischen Hamas auf Zivilisten in Israel schnitt in Frankreich ein junger Islamist tschetschenischer Herkunft einem Lehrer die Kehle durch. In Brüssel erschoss ein abgelehnter Asylbewerber aus Tunesien zwei schwedische Fußballfans. Und in Deutschland brüllten pro-palästinensische Demonstranten Slogans wie „Scheiß Juden!“. Oder: „Der Islam wird siegen.“ Und verteilten zur Feier des Tages Kuchen.

Ich bin wie viele Menschen entsetzt über diese Entwicklungen. Und wie viele deute ich mit dem Finger auf die Regierungen, und, als Deutsche, insbesondere auf die verschiedenen Bundesregierungen und ihre Politik der unkontrollierten Masseneinwanderung muslimischer Migranten. Was mir jedoch auch Sorge bereitet: Wer sich gegen radikale Muslime und die Unterwanderung von Politik und Gesellschaft durch einen legalistischen Islam ausspricht, von dem/der scheint erwartet zu werden, nun automatisch und bedingungslos pro Israel zu sein. Entsprechende Gesinnungsbekundungen werden nahegelegt bis gefordert. Wer sie versagt, läuft Gefahr, als AntisemitIn zu gelten. Ein, wie ich fälschlich annahm, mir freundschaftlich gesinnter nichtjüdischer Aktivist brach den Kontakt mit mir ab und beschimpfte mich als „Judenhasserin“, nur weil ich darauf hingewiesen hatte, dass es im Nahost-Konflikt zwei Seiten gäbe. Sie zu sehen: diese Freiheit nehme ich mir auch weiterhin.

So sehr ich rückwärts gewandte, bornierte Islamisten verachte und den grausamen Terror der Hamas verurteile, so sehr kritisiere ich die Siedlungspolitik von Benjamin Netanjahu, der seit 1996 mittlerweile zum sechsten Mal Ministerpräsident Israels ist. Und der bisher unbeirrt im Westjordanland weitere jüdische Siedlungen bauen lassen will, was in meinen Augen die Bewohner der Westbank immer mehr in die enge treiben und den Hass weiter schüren würde. „Wir haben nichts mehr zu verlieren“, sagte mir bereits vor ein paar Jahren ein junger Palästinenser bei einer Demonstration in Berlin.

Wenn ich im Alter von 20 Jahren voller Überzeugung auf der Seite Israels stand und mit 30 auf der Seite der Palästinenser, so bestehe ich heute darauf, weder das eine noch das andere zu tun.

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