Columbia Falls, Glacier Nationalpark und andere Schätze des Nordens
Rund 5300 Einwohner und 60 Kilometer Luftlinie bis zur Grenze mit Kanada sowie eine halbe Autostunde bis zum Glacier Nationalpark: das ist Columbia Falls. Eine beschauliche Kleinstadt am Flathead River, dem Flachkopf-Fluss, mit ansprechenden Läden, Musikkonzerten im Gunsight Saloon und (noch) nicht allzu viel Tourismus. Ich bin trotzdem froh, dass ich fünf Meilen außerhalb wohne, quasi mitten im Wald.
„Wohnen“ ist wie immer zu viel gesagt: Für drei Wochen werde ich hier zuhause sein. Und schnell fühle ich mich auch so. Vor allem, als ich ganz in der Nähe einen herrlichen Badesee „entdecke“. Kaum zehn Minuten zu Fuß… und ich stürze mich Mitte September in das bereits ziemlich kühle Wasser. Tag für Tag wird es dann nicht nur gefühlt noch merklich kühler. Zwei öffentlich zugängliche Badestellen gibt es am See, das restliche Ufer ist im privaten Besitz. Die meisten Häuser mit Seeblick sind Ferienhäuser und nur wenige ganzjährig bewohnt. Den Namen „meines“ Sees werde ich für mich behalten, weil die Anwohner lieber so wenige Fremde wie möglich dort sehen.
Nur gut fünfzig Meter von „meinem“ Haus sprudelt zudem ein Bach, in dem Nachbar Thane im Winter eisbadet. Ab der Haustür kann ich wandern – stundenlang, wenn ich will. Manchmal färbt sich der Himmel zum Abendrot in den verschiedensten Pinkschattierungen. Die Einheimischen nennen dieses Schauspiel „Alpenglühen“. Und nachts ist so wenig Lichtverschmutzung, dass ich bei wolkenlosem Himmel nicht nur den Nordstern, sondern tatsächlich die Milchstraße sehen kann.
Was will ich mehr? Vielleicht noch eine wundersam anheimelnde Anekdote, wie sie wohl nur das Leben schreiben kann.
David gegen Goliath
Darf ich vorstellen: Das ist Pretty Boy, der sich für ein sehr viel größeres Lebewesen hält als für einen kleinen Kater. Warum ich das denke? Wegen der folgenden Geschichte. Erzählt von Thane, meinem Nachbar hier. Sie trug sich zu, als er und Pretty Boy noch im benachbarten Whitefish lebten.
Eines Tages tauchte bei ihnen eine Schwarzbärin mit ihren beiden Jungen auf – angelockt von einem Topf mit Vogelfutter auf dem Holzgeländer der Veranda. Offenbar schmeckte es der Bärin, denn am nächsten Tag folgte Papa Bär. In der Zwischenzeit hatte Thane den Topf weiter nach oben auf das Vordach gestellt. Außer Reichweite – so dachte er. Doch Papa Bär, nicht dumm, kletterte auf das Verandageländer, um von dort aus dem Topf Vogelfutter zu naschen.
Das ging Pretty Boy nun doch zu weit. Als ehemaliger wild lebender Kater ging er zum Angriff über. Und kaum zu fassen: Papa Bär wich zurück. Pretty Boy setzte ihm nach – und verjagte den um vieles gewaltigeren Bären nicht nur von Haus und Hof, sondern verfolgte ihn bis in den Wald. So groß kann das Revier eines kleinen Katers sein.
Schließlich fahre ich doch noch zum Glacier Nationalpark, der ursprünglich ganz oben auf meiner Agenda stand. Eigentlich will ich nur zum Lake MacDonald, dem größten See im Park. Der Gletschersee ist kristallklar, da das kalte Wasser weder Plankton noch Algen zulässt. Deshalb ist es einfach, Millionen von bunten Kieseln auf dem Grund zu erkennen. Sie wurden irgendwann ab der Eiszeit zu verschiedenen Zeiten gebildet, ihre Farbe hängt vom Gehalt an Eisen und anderen Mineralien ab. Ich selbst sehe an diesem Tag nichts von alledem. Denn wegen Straßenbauarbeiten entlang des Sees fahre ich einfach weiter und finde mich unversehens in den Rocky Mountains wieder.
Mächtige Felsen, Haarnadelkurven. Sonnenschein, Bergspitzen unter düsteren Wolkenkappen, Regen. Die Erklärung dafür heißt Triple Divide Peak. Der Berg mit 2433 Metern ist der Wasserscheidepunkt, an dessen Flanken sich die Einzugsgebiete dreier Ozeane berühren – des Pazifischen, Atlantischen und Arktischen Ozeans. Daher der Name. Auf diese Funktion als Scheitelpunkt Nordamerikas geht die Bezeichnung „Krone des Kontinents“ für den Park und die Region zurück. Der Hauptkamm trennt den Park als Klimascheide auch in zwei sehr unterschiedliche Klimazonen: Der Westen unterliegt dem maritimen Einfluss des Pazifischen Ozeans mit gemäßigten Temperaturen und hohen Niederschlägen, während die Ostseite dem kontinentalen Klima zugehörig ist, das durch extreme jahreszeitliche Temperaturunterschiede und die für Nordamerika typischen Blizzards geprägt ist.
An diesem Tag meine ich einmal, im Niederschlag auf dem Autolack Schneeregen oder kleine Hagelkörner zu erkennen. Eine faszinierende Welt, die ich in der Zukunft noch einmal ausführlicher erkunden möchte. Auf dem Rückweg halte ich kurz am McDonald-See, doch der Abend bricht schon herein. Zu viel zu sehen für einen Tag. Auch meinen Besuch des Reservats der Blackfoot-Indianer, das östlich an den Nationalpark grenzt, verschiebe ich deshalb auf das nächste Mal.