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Vermisste und ermordete indigene Frauen

Eine Gruppe indigener Frauen fährt Motorradtouren, um auf das Problem der vielen vermissten und ermordeten Indigenen aufmerksam zu machen.

Indigene Biker-Aktivistinnen: Fahren für Schwester und Töchter

Vor einer weißen leeren Wand stehen 16 Frauen, gekleidet in traditionelle Gewänder ihrer jeweiligen Stämme. Rot und schwarz sind die dominierenden Farben. Kaum zu glauben, denke ich, dass diese Frauen noch vor einem Tag in dicken schwarzen Motorradanzügen steckten.

Fast 2000 Kilometer haben die Frauen auf ihren Motorrädern in den letzten fünf Tagen gemeinsam hinter sich gebracht. Teils fuhren sie in sengender Hitze von fast 40 Grad. Von Phoenix, Arizona, über Colorado, Wyoming und Montana bis nach Rapid City in South Dakota. Hier, im Oyae Luta Okolakiciye (übersetzt: sich auf heilige Weise vorwärts bewegen) Community Development Center, zeigen sie an diesem Freitag einen Dokumentarfilm über ihre Motorradtour von 2022. Der Titel des Films, „We Ride for Her“ (Wir fahren für sie“), steht für das, was die 16 indigenen Frauen tun: Sie fahren für Angehörige, die ermordet wurden oder noch vermisst werden.

Mit ihren Motorradtouren wollen die Biker-Aktivistinnen auf deren Schicksal aufmerksam machen – und auf das große Problem dahinter: ein Gemenge aus häuslicher Gewalt, sexueller Übergriffe, Armut, Menschenhandel. Zudem wollen sie das Schweigen brechen, mit dem vielfach ihre Communitys immer noch auf das Phänomen der Ermordeten und Vermissten in ihrer Mitte reagieren. Indigene Frauen sind vier- bis zehnmal häufiger von Mord, Gewalt und Menschenhandel betroffen als der nationale Durchschnitt. Betroffen sind nicht nur indianische, sondern auch alaskanische und hawaiianische Frauen. Ebenso indigene Frauen jenseits der Grenze in Kanada. Und, wenn auch weniger häufig, Männer und Jungen.

Eine Frau nach der anderen erzählt, für wen sie persönlich diese Motorradtour fährt. Luvy macht den Anfang. Ihre Stimme zittert, ab und zu hält sie inne, bevor sie weiter spricht. Vor zwei Jahren sei ihr Sohn verschwunden. Seitdem warte sie, Tag für Tag, dass er wieder auftaucht. Oder gefunden wird. Vielleicht tot.

Luvy’s Sohn wird vermisst ©Rebecca Hillauer

Die Aktivistinnen kommen von verschiedenen Stämmen und einige sogar von noch weiter her als von Phoenix, wo sie gemeinsam gestartet waren: aus Utah, Südkalifornien, Texas, Lisa sogar aus Hawaii. Heather, die ihre Schwester vermisst, ist ohne Motorrad hier. Die Aktivistinnen hüllen sie in eine große handgearbeitete Decke. Und umarmen sie. Heather schluchzt laut. Die Frauen nehmen sie in ihre Mitte und bilden einen schützenden Kokon um sie, während ihr Schluchzen weiter zu hören ist. Im übrigen Saal ist es totenstill.

In den USA und Kanada gibt es inzwischen Anfang Mai einen Gedenktag für vermisste und ermordete indigene Personen. Die Biker-Aktivistinnen nennen ihre Gruppe und die Touren, die sie fahren, Medicine Wheel Ride, denn es geht ihnen auch darum, Emotionen und Traumata von Angehörigen zu lindern und nicht nur Trost, sondern auch Kraft zu spenden. Für diesen Zweck fahren die Frauen auch dieses Jahr eine Tour bei der Sturgis Motorradrally. Das neben Daytona größte Biker-Treffen der Welt hat an diesem Tag begonnen – nur eine halbe Autostunde von Rapid City entfernt. Die Filmvorführung hier im Community Center soll auf den Medicine Wheel Ride in Sturgis einstimmen.

Am Sonntag, um 7 Uhr 30 beginnt die Registrierung. Ich staune: Der Parkplatz vor dem Education Center im Bear Butte Nationalpark ist zu dieser frühen Stunde schon mit Dutzenden von Harleys und anderen Motorrädern voll geparkt. Viele Biker sind nicht indigen und tragen gepflegte Drei-Tage-Bärte. Mehr als 200 Unterstützer, Frauen und Männer, seien im vergangenen Jahr aus Solidarität mit ihnen diesen Medicine Wheel Ride gefahren, erzählt eine Aktivistin zur Begrüßung.

Bear Butte, der Hügel im Hintergrund, nach dem der Nationalpark benannt ist, ist für Indigene heilig. Das Fotografieren deshalb untersagt. Ein Stammesälterer erinnert in seiner kurzen Rede daran, dass wir alle auf gestohlenem Land stünden, das auch rechtlich noch immer den Indigenen dieser Region gehöre. „Alle, die jetzt hier und nicht indigen sind, sind deshalb heute unsere Gaste“, sagt er.

Dann geht es schließlich los: Gaspedale werden getreten und Motoren von mehr als hundert Maschinen brummen los. Die Motorradkarawane setzt sich in Bewegung. Dieses Jahr zum ersten Mal eskortiert von einem Polizisten auf Motorrad. Gut 100 Kilometer und 2 Stunden wird die Fahrt lang sein. Vorne weg fahren die 16 Aktivistinnen. An etlichen Motorrädern flattern rote Bänder im Wind. Darauf haben die Frauen die Namen derjenigen geschrieben, für die sie diese Tour fahren.


Auf die Hintergründe und Fallbeispiele werde ich in meinen kommenden Radiofeatures näher eingehen. Bleiben Sie also dran.

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