Mögliche Schäden müssen mehr berücksichtigt werden.
Soll man Bodenschätze in der Tiefsee abbauen, obwohl man damit einzigartige Ökosysteme schädigen und ganze Arten auslöschen könnte? Über diese Frage hat die Internationale Meeresbodenbehörde verhandelt. Mehr als 750 Wissenschaftler warnen vor den negativen Folgen.
Die Tiefsee ist eine einzigartige Schatzkammer mit empfindlichen Ökosystemen und einer unermesslichen Artenvielfalt. Hinzu kommen gigantische Vorkommen an mineralischen Rohstoffen. Internationale Konzerne und einige Regierungen drängen darauf, diese Bodenschätze auszubeuten. Auf Jamaika verhandelten soeben die Mitgliedsstaaten der Internationalen Meeresbodenbehörde über einen „Mining Code“, das Regelwerk für einen möglichen kommerziellen Tiefseebergbau. Arlo Hemphill von Greenpeace USA war als Beobachter dabei:
„Das primäre Interesse für den geplanten Beginn des Tiefseebergbaus liegt auf der sogenannte Clarion-Clipperton-Zone, kurz CCZ, einem riesigem Areal zwischen Hawaii und der Küste Mexikos. Das Gebiet ist reich an polymetallischem Gestein. Die Internationale Meeresbodenbehörde hat bereits Lizenzen für Pilotversuche auf einer Fläche so groß wie Kanada genehmigt. Und das ist erst der Anfang.“
Die panzer-ähnlichen „Kollektoren“ saugen dabei mit den Mineralien auch alle Organismen auf dem Meeresboden mit ein. Umweltorganisationen warnen vor irreversiblen Schäden der Ökosysteme, ganze Arten würden ausgelöscht und Fischbestände weiter schwinden. Zudem würde der Lärm der Maschinen die Kommunikation zwischen erwachsenen Walen und ihren Kälbern stören – und damit das Überleben von dreißig Walarten gefährden.
Es geht um Kobalt, Kupfer, Mangan und Nickel, seltene Erden sowie Silber und Gold. Die Mineralien, so argumentieren die Bergbauunternehmen, würden benötigt für Elektroautos, Windturbinen und Solarzellen. Arlo Hemphill hält das für einen PR-Winkelzug:
„Sie wollen uns weismachen, dass dieser Tiefseebergbau für die grüne Energiewende notwendig ist. Sie verschweigen, dass einer der größten Märkte für Kobalt das Militär ist. Kobalt wird für ballistische Raketen und auch für Nachtsichtgeräte benötigt.“ Am Wesentlichsten sei aber, meint Hemphill, dass die Tiefsee die größte Kohlenstoffsenke der Welt ist. „Dort unten lagern riesige Mengen an Sedimenten, die sich über Millionen von Jahren angesammelt haben – und sie sind reich an Kohlenstoff. Was passiert, wenn diese Sedimente aufgewühlt werden? Spielen wir mit einer Zeitbombe für den Klimawandel?“
Große Autobauer wie BMW, VW und Renault sowie Tesla und Toyota haben sich bereits verpflichtet, zunächst keine Rohstoffe aus der Tiefsee zu nutzen. Martin Webeler von der Nichtregierungsorganisation Environmental Justice Foundation, der ebenfalls auf Jamaika die Verhandlungen der Meeresbodenbehörde verfolgt hat, zieht daraus den folgenden Schluss:
„Das heißt, wir haben dieses Innovationspotenzial auf der einen Seite. Aber auf einer Seite muss sich auch das Wirtschaftssystem insgesamt ändern. Diese Wegwerfmentalität, die insbesondere auch westliche Gesellschaften haben, ist ein großes Problem. Jetzt noch mal ein völlig neues Ökosystem zu zerstören, um diesen Lebensstandard immer weiter voranzutreiben: Das darf einfach nicht passieren.“
Deutschland ist einer von 21 Staaten im 36 Staaten zählenden Rat der Meeresbodenbehörde, die aufgrund der Risiken eine „provisorische Pause“ befürworten. Frankreich ist sogar für einen absoluten Stopp. Die Vereinigten Staaten haben das Internationale Seerechtsübereinkommen zwar nicht ratifiziert, aber unterzeichnet. Damit hat die USA einen Beobachterstatus. Zudem hat das Land durch seine ökonomische und strategische Machtposition einen enormen indirekten Einfluss auf die Verhandlungen.
„Die Häfen an der Westküste der Vereinigten Staaten sind strategisch wichtig für Schiffe, die in den mittleren Pazifik hinausfahren“, betont Arlo Hemphill von Greenpeace. San Diego sei bereits häufig ein Ausgangspunkt für Tiefseebergbauschiffe gewesen. Auch GSR, ein Unternehmen mit Sitz in Belgien, nutze den Hafen von San Diego als Ausgangspunkt für seine Aktivitäten. „Die Westküste Nordamerikas – von Kanada, den USA und Mexiko – ist aber nicht nur für Schiffe strategisch äußerst wichtig: Die abgebauten Mineralien werden später in einem dieser drei Länder auch verarbeitet werden.“
Arlo Hemphill hofft, dass es nie soweit kommen wird. Er verweist auf 765 internationale Wissenschaftler, die ein Moratorium fordern. Also eine festgelegte Auszeit, bis die Folgen des Tiefseebergbaus ausreichend erforscht sind. Die Mitgliedsstaaten der Meeresbodenbehörde konnten sich jedoch lediglich darauf verständigen, das Regelwerk für einen Tiefseebergbau nun erst 2025 zu verabschieden.
Martin Webeler sieht dieses Ergebnis durchaus positiv. Diese Verhandlungen hätten gezeigt, dass sich die Internationale Staatengemeinschaft eben nicht treiben ließe von den Bergbauunternehmen. „Sondern man hat gesagt: Wir brauchen erst mal Zeit, um dieses Regelwerk überhaupt zu entwickeln. Erst mal schauen, was sind die negativen Folgen, bevor wir eine Entscheidung überhaupt treffen können.“
Die Jurisdiktion der Internationalen Meeresbodenbehörde zum Schutz der Tiefsee umfasst allerdings nur die internationalen Gewässer außerhalb der 200-Seemeilen-Zone. Unberührt davon bleibt, was in nationalen Gewässern passiert. Norwegen hat bereits angekündigt, dass es in eigenen Gewässern Tiefseebergbau betreiben will. Anders in den USA: Dort hat der Bundesstaat Hawaii soeben eine Gesetzesvorlage eingebracht, die dies in amerikanischen Gewässern verbieten soll. Der Kampf um den Lebensraum Tiefsee geht weiter.