Natur/Umwelt Reisen USA

Unterwegs: Montana, Teil 1

Das Naturparadies Montana ist auch ein gewichtiger Produzent von fossilen Brennstoffen. Eine Gruppe junger Umweltschützer hat deswegen die Regierung verklagt.

Bozeman: Stadt-Kleinod im „Tal der Blumen“

„Bozeman ist so teuer geworden“, erzählen mir alle, die ich hier treffe. Nancy ist deshalb ins nahe gelegene Livingston gezogen. Bozeman ist hip. Die Sommer hier sind weniger trocken und die Winter weniger kalt als an anderen Orten in Montana.

Viele der rund 55.000 Einwohner sind erst in den letzten Jahren hierher gezogen, seitdem sich Bozeman zu einem beliebten Wohn- und Ferienort entwickelt hat. Viele haben auch nur ein Ferienhaus hier. Im Sommer kann man in der Umgebung toll wandern und mountain biken, im Winter skifahren und snowborden. Der Yellowstone Nationalpark ist nur eine Autostunde entfernt.

In der In-Bäckerei „Wild Crumb“ stehen die Leute fast immer Schlange. Auf dem Foto nicht zu sehen: Die Hundebesitzerin hat, farblich passend zur Frisur ihres Hundes, einen lila Pferdeschwanz.

Berge, Wälder, Büffelherden, viel Land, wenig Menschen: Das ist Montana. Deswegen bin ich hier. Bären habe ich allerdings sogar beim Wandern entlang des Bear Canyon Creek nicht gesehen. Für alle Fälle hatte ich aber Bären-Spray, eine Art Pfefferspray, dabei.

Bei einer Wanderung am Stone Creek Trail treffe ich David Clay Large. Der Kulturhistoriker, der früher in Bozeman lebte, verbringt immer noch die Sommer hier in seinem Haus. Im übrigen Jahr lehrt er an der Berkley Universität in Kalifornien – die Geschichte Berlins. Einer dieser Zufälle auf Reisen…

David Clay Large hat zig Bücher über Deutschland geschrieben, die auch in mehrere Sprachen übersetzt worden sind. Bei den Übersetzungen ins Deutsche half er jeweils mit. Vor dreißig Jahren hätte er einmal Leni Riefenstahl interviewt, sagt er. Sie sei damals bereits 90 Jahre alt gewesen – und hätte trotzdem noch mit ihm geflirtet.

Bei unserer Begegnung am Stone Creek Trail erzählt David Clay Large mir von einer russischen Familie, die vor circa hundert Jahren hier in der Nähe am Bach lebte. In der Einsamkeit der Wildnis hätten die Familienmitglieder offenbar den Verstand verloren und sich gegenseitig erschossen. Ihre verfallenen Bloghütten stünden heute noch dort. Und tatsächlich: Nach etwa zwanzig Minuten Fußweg stehe ich unten am Bach neben den Überresten der Hütten.

Zurück in Bozeman, gehe ich ins Historische Museum des Landkreises, das Gallatin History Museum, einst das Provinzgefängnis.

Forschungsleiterin Rachel Phillips findet im Archiv noch einige alte Artikel über die Familientragödie am Stone Creek. Demnach hatte im November 1919 der Vater in einem Anfall von Paranoia einen seiner erwachsenen Söhne erschossen und war daraufhin in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen worden. Später kamen auch seine Frau und der Rest der Famile dorthin. Rachel Philipps erzählt, dass es damals durchaus üblich gewesen sei, verarmte, eventuell sogar obdachlose Menschen, mit denen man nichts anzufangen wusste, in einer „Irrenanstalt“ unterzubringen.

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Familientragödie 1919 ©Canyon Cookery (historisches Kochbuch)

Indigene Stämme, die noch viel früher die Gegend um Bozeman durchquerten, gaben ihr den Namen „Tal der Blumen“. Der Spitzname für den gesamten Bundesstaat ist Treasure State („Staat der Schätze“) – wegen der Vielzahl an Bodenschätzen (Erdöl, Kohle, Kupfer, Silber und Gold). Montana ist einer der größten Kohlelieferanten der Vereinigten Staaten. Und dies, obwohl es in der Verfassung des Bundesstaates eine einzigartige Klausel gibt, die besorgte Naturschützer in den 1970er Jahren durchdrückten:

„Alle Menschen sind frei geboren und haben bestimmte unveräußerliche Rechte. Dazu gehört das Recht auf eine saubere und gesunde Umwelt.“

Verfassung des Bundesstaates Montana

Auf diese Klausel beruft sich aktuell eine Gruppe von 16 Kindern und jungen Erwachsenen aus Montana, die ihren Bundesstaat wegen Umwelt- und Klimaschäden verklagt haben. Vor allem stellen sie die Verfassungsmäßigkeit einer Regelung im Umweltgesetz des Bundesstaates in Frage. Sie untersagt es Regierungsbehörden, bei der Prüfung von Genehmigungsanträgen im Zusammenhang mit fossilen Brennstoffen Auswirkungen auf das Klima zu berücksichtigen.

In Bozeman hängen überall Plakate in Unterstützung des Falles „Held v. Montana“ – benannt nach der Hauptklägerin, Rikki Held.

Deren Familie betreibt eine Ranch im östlichen Teil des Staates. Bei der Gerichtsverhandlung im Juni in der Hauptstadt Helena sagte die inzwischen 22-Jährige als Zeugin aus, durch Waldbrände, extreme Temperaturen und Dürre sei die Existenzgrundlage ihrer Familie zunehmend beeinträchtigt.

Der historische Prozess könnte ähnliche nach sich ziehen – nachdem frühere Klagen noch vor der Verhandlung abgewiesen worden waren. Anwaltlich vertreten werden die Jugendlichen von der auf Umweltrecht spezialisierten Nichtregierungsorganisation „Our Children’s Trust“. Sie vertritt auch eine andere Gruppe jugendlicher Kläger und Klägerinnen aus verschiedenen Bundesstaaten, die die US-Regierung wegen ihrer Umweltpolitik verklagt hat. Dieser Prozess soll nun bald beginnen. Das Urteil im Fall „Held v. Montana“ wird bis August erwartet.

Fünf Bundesstaaten – Pennsylvania, Montana, Illinois, Massachusetts und Hawaii – haben in den 1970er Jahren Umweltbestimmungen in ihre Verfassungen aufgenommen. Siehe PBS NewsHour.


Nachtrag vom 14. August 2023:

Eine Richterin hat den jungen KlägerInnen aus Montana Recht gegeben. Lesen Sie dazu auf meinem Substack-Blog meine Nachrichten-Auslese vom 19. August 2023.

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