Der Kampf um ein freies Internet ist so alt wie das Netz selbst.
Seitdem vor mehr als fünfzig Jahren die erste E-Mail verschickt wurde, kämpfen Netzrebellen und Hacktivisten für einen freien Zugang zum Netz und einen zensurfreien Austausch von Informationen: Richard Stallman, Tim Berners-Lee, das Internet-Wunderkind Aaron Swartz.
Die erste Email wurde 1971 in den USA verschickt. 13 Jahre später, im August 1984, war es auch in Deutschland soweit. Von da an ging es mit dem Netz Schlag auf Schlag. Im Fokus stets: schneller und direkter miteinander zu kommunizieren und Wissen auszutauschen.
Fernsehmoderator: „Schönen Abend. ‚Bericht aus Berlin‘. Heute wichtiges Thema: Es geht um Chat-Kontrolle. Es geht um eure Chats, eure Chat-Daten. Und es geht um die Europäische Kommission. Geht es nach der nämlich, sollen die systematisch ausgelesen werden.“
Als Tim Berners-Lee 1993 das World Wide Web erschuf, ahnte er es bereits: Die schier unendlichen Möglichkeiten einer globalen Vernetzung würden Begehrlichkeiten wecken – nicht nur von kommerziellen Unternehmen, sondern auch von Regierungen. Der britische Physiker und Informatiker verzichtete deshalb bewusst darauf, seine Erfindung zu patentieren. Der Zugang zum Netz und der Informationsaustausch sollten frei sein, für alle. Ein schöner Traum.
Bis heute kämpfen Einzelne und Gruppen, um diesen Traum wahr zu machen. Den Anfang machte 1983, vor nun vierzig Jahren, der Amerikaner Richard Stallman, als er die so genannte Freie-Software-Bewegung ins Leben rief.
Laut Stallman garantiert Freie Software „vier Freiheiten“: Man darf das Programm und den Quellcode kostenfrei für jeden Zweck nutzen und verändern und auch an andere weitergeben – aber nur wieder als Freie Software. Stallman nennt dieses Prinzip „Copyleft“ – im Gegensatz zum Copyright, das die Nutzung einschränkt. Das sit auch der Unterschied zu Open Source Produkten, deren Quellcode wie etwa bei Microsoft und Windows geschützt sein kann – oder die nur gegen Geld erhältlich ist. Auch mit Freier Software ließe sich Geld verdienen, sagt Charles Gregory aus North Carolina:
„Anwälte schreiben auch die Gesetze nicht selbst. Aber sie wissen, diesen Gesetzescode zu interpretieren und mit ihm zu arbeiten. Die Firma Red Hat war das erste Unternehmen für Freie Software. Sie haben die Software selbst nicht verkauft, sondern sie haben sie als CD vermarktet, ein Handbuch erstellt und einen Service angeboten. Inzwischen ist das Unternehmen an der New Yorker Börse.“
Wer Freie Software wie kaum ein anderer zu nutzen wusste, war Aaron Swartz aus Chicago. Mit gerade mal 14 Jahren hatte er den Web-Standard RSS mit entwickelt, und galt seither als Internet-Wunderkind. Für das Web, wie er es sah, legte er sich im Januar 2012, mit 25 Jahren, mit der USA Regierung an und gewann.
Aaron Swartz war stolz, das Unmögliche geschafft zu haben. Auf Druck vor allem der Film- und Musikindustrie wollte die Obama-Regierung das Netz schärfer regulieren, um Raubkopien zu verhindern. Nach dem Gesetzesentwurf sollte sich nicht mehr nur die Person strafbar machen, die das Urheberrecht verletzt. Suchmaschinen dürften keine Links auf die Seite setzen, auf der das Urheberrecht verletzt wurde. Werbe- und Zahlungsdienstleistern keine Geschäfte mit dieser Seite tätigen. Und Internetprovider könnten gezwungen werden, den Zugang zu sperren. Aaron Swartz sah die Freiheit des Internets in Gefahr. Auf seiner Aktionsplattform Demand Progress (übersetzt etwa „Wir fordern Fortschritt“) entwarf er kurzerhand eine Webseite – als Hilfsmittel für alle, die gegen das Vorhaben protestieren wollten. Charles Gregory war einer von ihnen:
„Auf seiner Webseite konnte ich den genauen Status der Gesetzgebung erfahren. Ich musste nur meine Postleitzahl eintippen – und schon bekam ich Links und Kontaktdaten zu meinem örtlichen Kongressabgeordneten. So etwas war meines Wissens noch nie gemacht worden.“
Information, Kommunikation und Demokratie-Teilhabe auf einer Webseite: Swartz brachte eine Lawine ins Rollen. Millionen Menschen protestierten. Die englischsprachige Wikipedia ging für kurze Zeit vom Netz, aus Solidarität auch andere Seiten blieben schwarz. Das Logo von Google zeigte einen Zensurbalken. Mehr als 100.000 Websites beteiligten sich an dem größten Protest in der Geschichte des Internets. Schließlich war das Gesetz vom Tisch. Für Swartz nur ein kurzer Triumph. Denn zu diesem Zeitpunkt ermittelte die Staatsanwaltschaft bereits seit einem Jahr gegen den Haktivisten. Der Vorwurf: Er habe von der Wissenschaftsdatenbank JSTOR 4,8 Millionen Artikel heruntergeladen, die hinter einer Paywall lagen. Die aber aus Swartz Sicht, allen zugänglich sein sollten.
„Für Mitglieder der Wissenselite, Studenten und Professoren, ist das kostenlos, der Rest der Welt muss zahlen. Ich hatte nicht erkannt, wie sehr diese Ungerechtigkeit ihn beunruhigt hat.“
Lawrence Lessig
Lawrence Lessig, Rechtsprofessor an der Harvard-Universität, gilt als Aaron Swartz’ Mentor. Mit 15 schrieb Swartz den Code für Lessigs Creative Commons-Lizenzen und ermöglichte so mit einem Mausklick Zugang zu alternativen Urheberrechtsregeln. Auch heute noch. Das bringt Rechtssicherheit – und erspart zugleich teure Anwaltskosten. Er wurde Mitentwickler der Social News Plattform Reddit und durch den Verkauf zum Millionär.
Rüdiger Weis, Informatikprofessor an der Beuth-Hochschule für Technik Berlin, lehrt unter anderem Swartz’ Programmiersprache Markdown.
„RSS und Markdown gehören zu den wichtigsten Formaten für einfache Textdarstellung. Zum Beispiel bei Git-Hub ist Markdown empfohlene Sprache zur Dokumentation von Softwareprojekten. Git-Hub ist einer der größten Anbieter für sogenannte Versionsverwaltung von Softwareprojekten. Das bedeutet, dass Programmierer auch aus verschiedenen Zeitzonen an gemeinsamen Projekten zusammenarbeiten können.“
Sein Idealismus, die Welt zu verbessern, wurde Swartz zum Verhängnis. Obwohl er die heruntergeladenen Wissenschaftsdateien sofort zurückgegeben hatte, ermittelte die US-Staatsanwaltschaft weiter gegen ihn. Es ist das Jahr 2011: Julian Assange hat mit Wikileaks gerade die Freiheit des Netzes genutzt und massenweise Geheimdokumente des US-Militärs veröffentlicht, zugespielt von Whistleblower Bradley heute Chelsea Manning. Will die Regierung zur Abschreckung an Swartz ein Exempel statuieren? Ihm drohen bis zu 35 Jahre Haft.
Am 11. Januar 2013 findet seine Freundin ihn in der gemeinsamen Wohnung in Brooklyn – Aaron Swartz hatte sich mit seinem Gürtel erhängt. Er wurde 26 Jahre alt.
Zu Swartz’ digitalem Vermächtnis gehört auch ein Verschlüsselungssystem, das es Journalisten erlaubt, mit Whistleblowern sicher zu kommunizieren. Das quelloffene System wird heutzutage unter dem Namen SecureDrop unter anderem von der New York Times und CNN, dem Guardian sowie der Süddeutschen Zeitung genutzt. Die Technik ist auch deshalb bedeutsam, weil der Kampf um ein freies Internet sich längst vom Copyright auf den Inhalt verlagert hat. Die von der EU-Kommission geplante Chat-Kontrolle ist nur ein Beispiel von vielen.
„Aktuelle Entwicklungen zeigen, dass die Frage, wie man sich im Internet ohne Zensur informieren kann, zum anderen eigene Beiträge abgeben kann, eine zentrale Frage für unsere weitere gesellschaftliche Entwicklung geworden ist.“
Rüdiger Weis
Informatikprofessor Rüdiger Weis, der den Verein Digitale Gesellschaft mitbegründet hat, ist überzeugt: Swartz hätte die aktuellen Entwicklungen bekämpft. Er hätte kritisiert, dass Regierungen versuchen, über Gesetze den Wissens- und Meinungsaustausch in ihrem Sinn zu beeinflussen. Online-Medien immer mehr auf eine Paywall setzen. Und dass soziale Plattformen von wenigen Unternehmen kontrolliert werden oder, wie Twitter, sogar von einer einzigen Person. Charles Gregory, der Swartz’ Vision von Netzfreiheit und Freier Software auch Laien näher bringen will, meint dazu:
„Sie alle denken im alten Stil. Aaron Swartz hat gesagt: ‚Wissen allein ist nicht Macht: Geteiltes Wissen ist Macht.‘ Sie meinen stattdessen, so sei man sicher – durch Kontrolle.“
Im Netz kann Kontrolle jedoch nur sehr begrenzt erfolgen. Denn etliche Browser, die auf Freier Software beruhen, halten Zugriffsversuchen auch von Regierungen stand. Jede inhaltliche Einschränkung bedeutet zudem eine Zensur. Kern des freien Netzes ist jedoch das frei verfügbare Wissen für alle und die freie Kommunikation. Rüdiger Weis:
„Demokratie bedeutet, dass sehr viele unterschiedliche und auch schmerzhafte Meinungen ertragen werden müssen. Das ist ein grundlegender Unterschied zu autoritären Staaten. Aus diesem Grund sehe ich jegliche Zensur als sehr kritisch.“
Mehr über Aaron Swartz auf dieser Webseite.