Politik Porträt USA

Wegbereiter eines freien Internets

Aaron Swartz kämpfte als Hacker und Idealist für einen freien Zugang und Informationsfreiheit im World Wide Web.

Zum 10. Todestag von Aaron Swartz

Aaron Swartz 2009, By Sage Ross

Als Teenager entwickelte er die Codes für den Web-Standard RSS und die Creative Commons-Lizenzen mit, später baute Aaron Swartz das Netzkultur-Forum Reddit mit auf. Am 11. Januar 2013 nahm sich der Hacker und Aktivist in New York das Leben.

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Zehn Jahre ist es her, dass der Tod von Aaron Swartz die Netzwelt erschütterte. Swartz galt als Internet-Wunderkind, seitdem er mit 12, noch in Begleitung seiner Eltern, an Computerkonferenzen teilnahm. Ein Jahr vor seinem Tod, im Januar 2012, feierte der Hacker und Netzaktivist seinen bis dahin größten Erfolg.

Auf Druck vor allem der Hollywood-Filmindustrie hatte die Obama-Regierung geplant, den Schutz des Copyrights im World Wide Web drastisch zu verschärfen. Mit Mitstreitern seiner Aktionsplattform Demand Progress („Wir fordern Fortschritt“) entwarf Aaron Swartz kurzerhand eine Webseite – als Hilfsmittel für alle, die gegen das Vorhaben protestieren wollten. Charles Gregory aus North Carolina war einer von ihnen: „Auf seiner Webseite konnte ich den genauen Status der Gesetzgebung erfahren und die weitere Zeitplanung. Ich musste nur meine Postleitzahl eintippen – und schon bekam ich Links und Telefonnummern zu meinem örtlichen Kongressabgeordneten. So etwas war meines Wissens noch nie gemacht worden.“

Swartz brachte eine Lawine ins Rollen. Millionen Menschen protestierten, Google, Facebook und Wikipedia gingen zeitweilig vom Netz. Mehr als 100.000 Websites beteiligten sich an dem größten Protest in der Geschichte des Internets. Schließlich war das Gesetz vom Tisch.

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Aaron Swartz 2011 By Daniel J. Sieradski

Zu diesem Zeitpunkt ermittelte die Staatsanwaltschaft bereits seit einem Jahr gegen den Netzaktivisten. Der Vorwurf: Er habe von der Wissenschaftsdatenbank JSTOR fast fünf Millionen Artikel heruntergeladen, die hinter einer Paywall lagen. Dafür sei er in einen Computerschrank der Technischen Hochschule Massachusetts, dem M.I.T., eingebrochen.

„Er ‚brach ein‘ in dem Sinn, dass er den Türgriff drehte. Die Tür war nicht verschlossen“, sagt Rechtsprofessor Lawrence Lessig von der Harvard Universität, der als Aaron Swartz’ Mentor gilt. Natürlich habe das M.I.T. ein offenes Netz, auch Gäste hätten freien Zugang. Als Harvard-Stipendiat damals war Aaron zudem berechtigt, auf das JSTOR-Archiv zuzugreifen. „Für Mitglieder der Wissenselite, Studenten und Professoren, ist das kostenlos, der Rest der Welt muss zahlen. Ich habe damals nicht gesehen, wie sehr ihn diese Ungerechtigkeit beunruhigt hat.“

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Aaron Swartz und Lawrence Lessig By Gohsuke Takama

Lessig kannte Aaron Swartz bereits, als dieser, gerade mal 14 Jahre alt, den RSS-Standard mit entwickelte, der es ermöglichte, aus anderen Webseiten eine Art Presseschau zu erstellen. Mit 15 schrieb Swartz für Lawrence Lessig den technischen Code der Creative Commons-Lizenzen, der mit einem Mausklick Zugang zu alternativen Urheberrechtsregeln bietet. Mit 19 wurde Swartz Mitbegründer der Plattform Reddit und durch den Verkauf zum Millionär. Das Geld ermöglichte es ihm, weitere Projekte zu verfolgen. Rüdiger Weis, Informatikprofessor an der Beuth-Hochschule für Technik Berlin, lehrt auch Swartz’ Programmiersprache Markdown:

„RSS und Markdown gehören zu den wichtigsten Formaten für einfache Textdarstellung. Sie haben dadurch in der technischen, aber auch in der journalistischen Szene eine große Rolle gespielt. Im Fall von Markdown wird die Bedeutung in den nächsten Jahren tendenziell zunehmen.“

Swartz entwickeltelte auch ein Verschlüsselungssystem mit, das es Journalisten erlaubt, mit Whistleblowern sicher zu kommunizieren. Das quelloffene System wird unter dem Namen SecureDrop unter anderem von der New York Times und CNN, dem Guardian, der Süddeutschen Zeitung und dem Heise-Verlag genutzt. Rüdiger Weis ist sicher: Swartz hätte die aktuelle Entwicklung bekämpft – dass Internetplattformen von wenigen Unternehmen oder sogar von einzelnen Personen kontrolliert werden; Zeitungsverlage immer mehr mit Paywalls arbeiten. Und Regierungen versuchen, die Inhalte von Plattformen zu reglementieren. Charles Gregory aus North Carolina, der Swartz‘ Philosophy einer allgmeinen Öffentlichkeit nahe bringen will, teilt diese Ansicht:

"Aaron Swartz hat gesagt: 'Wissen ist nicht Macht: Geteiltes Wissen ist Macht.' Sie meinen stattdessen, so sei man sicher - durch Kontrolle.“

Aaron Hillel Swartz war eine neue Generation. Er wuchs in Highland Park, einem wohlhabenden Vorort von Chicago, auf. Durch seinen Vater, einen Softwareentwickler, kam er früh mit Computern in Kontakt. Bereits im Kindergarten las er Romane, so dass ihn seine Eltern auf eine Grundschule für begabte Kinder schickten. Ungefähr in dieser Zeit wechselte die Familie, die einer Reformgemeinde angehört hatte, in eine orthodoxe Chabad-Lubawitsch-Synagoge. Der junge Aaron besuchte die Gottesdienste, bezeichnete sich selbst später aber als Atheist. Mit seinem Idealismus, die Welt zu verbessern, entsprach er dennoch dem jüdischen Gebot einer Mitzvah, einer guten Tat.

„Er hat auch versucht, seine guten Talente im Bereich der Technik dafür einzusetzen, konkrete Lösungen für alle Menschen zu schaffen, eine Teilhabe, eine Informationssammlung und auch eine publizistische Tätigkeit stark zu vereinfachen.“

… sagt Informatikprofessor Rüdiger Weis. Aaron Swartz hatte die von JSTOR heruntergeladenen Dateien zwar umgehend zurückgegeben, und das Wissenschaftsarchiv verzichtete daraufhin auf eine Strafverfolgung. Doch die Staatsanwaltschaft ermittelte weiter. Das von Swartz im Jahr 2008 mitverfasste „Guerrilla Open Access Manifesto“ betrachtete sie als Beweis für seine Absicht, die JSTOR-Artikel der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es ist das Jahr 2011. Wikileaks hatte gerade Hunderttausende Geheimdokumente des US-Militärs veröffentlicht, die ihnen Whitleblower Bradley Manning zugespielt hatte. Wollte die Regierung zur Abschreckung ein Exempel statuieren? Swartz drohten bis zu 35 Jahren Haft.

Am 11. Januar 2013 fand seine Freundin ihn in der gemeinsamen Wohnung in Brooklyn – Aaron Swartz hatte sich mit seinem Gürtel erhängt. Er war 26 Jahre alt. Rechtsprofessor Lawrence Lessig erinnert sich: „Vier Tage vor Aarons Tod erhielt ich eine E-Mail von JSTOR, dass sie all diese Zeitschriftenartikel für jeden auf der Welt freigeben würden – das war genau das, wofür Aaron gekämpft hatte. Ich hatte nicht genug Zeit, um ihm die E-Mail zu schicken. Ich war auf Reisen.“

Hätte die Nachricht Aaron Swartz von seinem Suizid abgehalten, wenn er sie erhalten hätte? Der Aktivist kämpfte seit langem mit Depressionen. Er litt zudem an Colitis ulcerosa, einer chronischen Dickdarmentzündung, die ihn zu einer speziellen Diät zwang. Lawrence Lessig sieht vor allem die damalige US-Regierung und die Staatsanwaltschaft in der Verantwortung:

„Er war depressiv, weil sie sein ganzes Vermögen beschlagnahmt hatten. Seine Eltern hätten ihr Haus mit einer Hypothek belasten müssen, damit er einen Anwalt bezahlen konnte - um gegen eine Regierung zu kämpfen, die ihn behandelte, als wäre er ein Terrorist des 11. September.“

Nach seinem Tod ließ die Bundesstaatsanwaltschaft die Anklage fallen. Swartz wurde posthum in die Internet Hall of Fame aufgenommen. Was genau ihn in den Tod getrieben hat, wird vielleicht für immer sein Geheimnis bleiben. Er wurde nach jüdischem Ritus bestattet. Tim Berners-Lee, der Begründer des World Wide Web, mit dem Aaron Swartz ebenfalls zusammengearbeitet hatte, hielt eine der Trauerreden. Für Menschen auf der ganzen Welt wird der Netzaktivist nach seinem Tod zur Auch in der Hacker- und Internet-Community ist der Wegbereiter eines zensurfreien Internets noch immer ein Begriff.

„Es ist jetzt zehn Jahre danach, das ist für die EDV schon eine hohe Zeit. Aber alle Leute, die seine Arbeit kennen, haben eine große Hochachtung“, sagt Rüdiger Weis. Und:

"Die Tatsache, dass Aaron Swartz eine sehr einfache Darstellungsweise gefunden hat, die wirklich so einfach ist, dass man davor steht und sagt 'Was ist daran jetzt Besonderes?' - das ist eine hohe Kunst der Informatik. Fast eine Art von Magie, Systeme zu machen, die auf den ersten Blick sehr einfach erscheinen, aber ungeheuer mächtig sind.“
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