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Im Land der Kituwah

Die indigenen Kituwah in North Carolina sind besser bekannt als „Cherokee“. Doch in ihrer eigenen Sprache gibt es dieses Wort nicht.

Besuch in Cherokee im US-Bundesstaat North Carolina.

Die im Englischen Cherokee genannten Stämme sind mit rund 300.000 Angehörigen das zweit größte noch existierende indigene Volk Nordamerikas. Die meisten leben in Oklahoma und North Carolina. Dort lerne ich, dass es „die Cherokee“ eigentlich gar nicht gibt.

Zur Kurzreportage

Das Städtchen Cherokee mit gut 2000 Einwohnern liegt im US-Bundesstaat North Carolina. Hier treffe ich Juanita Wilson, die mir heilige Stätten ihres Stammes zeigen will.

Die 58-Jährige Soziologin ist eine zierliche Frau mit kurzen leicht ergrauten Haaren. Sie gehört dem Volk der Kituwah an. Besser bekannt als „Cherokee“. Diesen Namen sollen die Kituwah der Überlieferung nach im 15. Jahrhundert durch einen spanischen Abenteurer erhalten haben.

Das Wort „Cherokee“ gibt es in unserer Sprache nicht. Unsere Mutterstadt heißt Kituwah – und wir nennen uns nach ihr.

Juanita Wilson

Zu dieser Zeit kontrollierten die Kituwah ein riesiges Gebiet im heutigen Südosten der Vereinigten Staaten. Archäologische Funde belegen, dass sie dort bereits vor mehr als 11.000 Jahren lebten. Die Kituwah waren einer der „Fünf zivilisierten Stämmen“, die um 1820 nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten ein Regierungssystem einführten, mit einem Häuptling, einem Senat und einem Repräsentantenhaus, mancherorts sogar mit schwarzen Leibeigenen. Da sie sich anpassten, durften sie auf einem Großteil ihres ursprünglichen Stammesgebiets bleiben.

Sie bekamen die „Wahl“, in einem verkleinerten Gebiet zu leben oder nach Westen ins Indianerterritorium zu ziehen. Oder: Sie konnten auf ihrem Land außerhalb des Reservats bleiben, mussten aber ihre Stammeszugehörigkeit aufgeben und US-Bürger werden. Juanita Wilsons „Eastern Band of Cherokee Indians“ stammen von diesen „Bürger-Cherokees“ ab. Aufgrund ihres besonderen Rechtsstatus konnten sie in North Carolina bleiben, als 1838 mehr als 17.000 andere Kituwah auf dem tödlichen „Trail of Tears“ („Weg der Tränen“) nach Oklahoma getrieben wurden. Ende des 19. Jahrhunderts organisiertes sich der „Östliche Trupp der Cherokees“ als staatlich anerkannter Stamm neu. Ihr Reservat wurde 1924 formell in die Treuhandschaft der US-Regierung übergeben.

In der Ferne sehe ich die bewaldeten grünen Berghänge des Smoky Mountain Nationalparks. Außer Sichtweite befindet sich der 469 Meilen lange Blue Ridge Parkway, dessen südliches Ende durch das Land der Kituwahs führt. Einst war dies alles Stammesland, sagt Juanita Wilson. Jetzt zieht es jedes Jahr Zehntausende von Touristen hierher, im Sommer zum Wandern und im Winter zum Skifahren – und das ganze Jahr über in das Casino von Cherokee. Alle Kituwahs sind an den Einnahmen beteiligt.

Meine Stadtführerin lenkt das Auto hinunter zum Fluss, den Oconaluftee. Die Kituwah hatten ihn einst „Lange Person“ getauft. Doch wieder soll ein weißer Mann sich eingemischt haben. „Er hat den Fluss in ‚Langer Mann‘ umgetauft gemäß der patriarchalen Vorstellungen der Weißen damals“, sagt Juanita Wilson. Die Kituwah sind jedoch ein matrilineares Volk, bei dem Zugehörigkeit und Besitz über die Mutterlinie weitergegeben werden. Bei einer Eheschließung etwa heiratet ein Mann in den Clan seiner Frau ein.

Juanita Wilson ist in Cherokee geboren und aufgewachsen. Ihre Mutter war eine Kituwah, ihr Vater ein Navajo. Sie selbst ist seit 38 Jahren mit einem Nicht-Indigenen verheiratet. Er hätte sich sogar an den Humor der Kituwah gewöhnt, sagt sie und lacht. „Unser Humor ist sehr speziell. Je mehr wir auf dir herumhacken und dir Spitznamen geben, desto mehr mögen wir dich“.

Wir steigen an einer Brücke aus. Der sanft dahin strömende Fluss symbolisiert das traditionelle Verständnis der Kituwah, in Einheit mit der Natur zu leben. Wie andere indigene Völker glauben die Kituwah, dass sie zum Land gehören und nicht das Land ihnen. Sie glauben, dass ihre Vorfahren durch „Unehlvnvi“, oo-nay-hlu-nuh-ee (Gott), auf diese Erde kamen, wo es bereits ein Ökosystem aus Pflanzen, Tieren, Insekten usw. gab. Und ihnen wurden „Naturgesetze“ gegeben, um in Frieden und Respekt zu koexistieren.

Doch diese Lebensphilosophie schwindet mit den Generationen ebenso wie die Kenntnis der Stammessprache. Deswegen hat Juanita Wilson vor einem Jahr eine Säuberungsaktion im Fluss organisiert. Das Ergebnis: Sie fischten sogar Kleidung und Schuhe aus dem Wasser. „Eigentlich sollten wir nicht einmal in den Fluss spucken, weil er ein lebendiges Wesen ist.“ Und die Stammesältesten verehren ihn wie ein Familienmitglied. Sie sagen: „Sein Kopf ist in den Bergen und seine Füße im Meer“. Dementsprechend sähen die Kituwah alles entlang des Flusslaufs als „Langer Mann“, sagt Juanita Wilson.

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Juanita Wilson am Oconaluftee (Langer Mann/Lange Person) ©Rebecca Hillauer

Alles, was flussabwärts von dir liegt, wird davon beeinflusst, was du tust und nicht tust. Das ist das Prinzip, wir respektieren und schützen es.

Juanita Wilson

Wir lassen die Stadtgrenze hinter uns, schaukeln mit dem Auto über einen Feldweg. Ich höre Krähen und sehe eine Schlange vorbeihuschen. Hier liegt der Kituwah Mound. Der Legende zufolge war der Erdhügel einst das Zentrum der Ansiedlung. Die Kituwah nennen ihn „Unsere Mutterstadt“. Der heilige Ort war ursprünglich bis vier Meter hoch. Die Medizinmänner des Stammes hielten hier die „ewige Flamme“ des Lebens am Brennen. Doch das ist lange her.

Kituwah Mound, der heilige Hügel ©Rebecca Hillauer

„Das ist der Kituwah Mound“. Juanita Wilson zeigt auf eine unscheinbare Erhebung inmitten einer Grasebene. Manchmal, erzählt sie, kämen sie hier zusammen zum „Hügelbauen“. Wie unsere Vorfahren bringen sie dann von zu Hause Erde mit, in einem Korb oder in einem Schildkrötenpanzer, und legen sie auf den Hügel. „Das verbindet uns wieder mit der Erde, von der wir leben.“ Bei diesen rituellen Zusammenkünften entzünden die Kituwah symbolisch auch wieder ein „ewiges Feuer“.

Hinter dem Erdhügel steigt an diesem Tag tatsächlich Rauch auf. Das sei eine Gruppe junger Leute, erklärt mir Juanita Wilson, die mit Erlaubnis der Stammesältesten jeden letzten Freitag im Monat hierher kämen – für eine Zeremonie. „Dabei tanzen sie und entzünden auch ein Feuer.“ Juanita Wilson wiederum engagiert sich mit einer gemeinnützigen Organisation dafür, nach dem Vorbild des Kituwah Mound weitere heilige Erdhügel zu restaurieren.

Wird es je eine Versöhnung geben mit dem weißen Amerika, das den American Indians einst das Land und zum Teil ihre Kultur nahm? Juanita Wilson ist skeptisch. Sie frage sich, sagt sie, wie die Vereinigten Staaten jemals respektabel sein könnten, da sie vom ersten Tag an Blut an den Händen hätten.

Man kann sich nicht für andere Menschen aus der Vergangenheit entschuldigen. Wir sagen: „Sorgt stattdessen dafür, dass so etwas nie wieder passiert! Und dass die Wahrheit ans Licht kommt.“

Juanita Wilson
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