Mitbegründerin und Ikone der Grünen: 30 Jahre nach ihrer Ermordung
Anfang Oktober 1992 wurde Petra Kelly von ihrem Lebenspartner, dem ehemaligen Nato-General Gerd Bastian, erschossen. Am 29. November 2022 wäre die Frauen-, Friedens- und Umweltaktivstin 75 Jahre alt geworden. Das „Rachel Carson Center for Environment and Society“ in München lädt deshalb zu einer Konferenz ein. Die Grünen-Mitbegründerin Eva Quistorp ist eine der Personen, die Petra Kelly am besten kannten.
Die studierte Theologin vertrat Die Grünen von 1989 bis 1994 im Europaparlament, war Mitglied des Bundesvorstandes der Grünen und Mitgründerin der Heinrich-Böll-Stiftung. Als Umwelt-, Frauen-, und Friedensaktivistin war sie viele Jahre Petra Kellys politische Weggefährtin.
Bereits 1978 war Klimaschutz Thema der beiden Frauen.
Neben einen Zeitungsartikel kritzelte Petra Kelly in ihrer typischen Art ein paar Worte an Eva Quistorp:
denke immer an dich, wenn ich etwas über „Wetter“ lese! P.K.K.
Petra Kelly, 21. September 1978
„Du fehlst!“ – Ein persönlicher Brief
Liebe Petra,
Du fehlst nicht nur mir sehr, du fehlst vielen in diesem Land und weltweit. Gerade jetzt, wo Putins Machtapparat einen brutalen Krieg gegen die Ukraine führt. Du fehlst auch den russischen Feministinnen , die gewaltfreie Aktionen gegen den Krieg der Putin-Mafia wagen.
Petra, dein Name erinnert wie Petrus an einen Felsen: Du warst ein Felsen, auf den die Anti-Atomwaffenbewegung und die Grünen europaweit gebaut sind. Du warst Teil des Aufbruchs in den USA in den 1960er Jahren mit der Bürgerrechtsbewegung – die mit Martin Luther King auch eine Friedensbewegung gegen die Macht des militärisch-industriellen Komplexes und gegen den Vietnamkrieg war, gegen den wir in Westberlin und du mit Robert Kennedy in den USA protestiert hast.
Du hast große Reden gehalten auf den Friedensdemos in Bonn, die ich mit Frauen für Frieden mit organisiert habe. Leider zitiert weder Georg Mascolo in seinen guten Artikeln in der Süddeutschen Zeitung zu Atomwaffen dich noch Annalena Baerbock bei ihren Uno-Rreden. Du hast die Frauenfriedensbewegung weltweit unterstützt und mit mir die Frauen für Frieden in der DDR.
Du fehlst jetzt vielen, wo wir in der Uno auf der Umsetzung der Resolution 1325 beharren müssen, die sich seit 2000 für die Beteiligung von Frauen auf allen Ebenen an Friedensverhandlungen einsetzt. Du hast die Gründung der Frauenrechtsorganisation medica mondiale 1993, bei der ich als MdEP mitgewirkt habe, nicht mehr erlebt. Leider. Wo du doch auch so gegen die Traumata von Frauen und Kindern in Kriegen und bei Terror praktisch helfen wolltest.
Weißt du noch, wie wir im Juni 1987 bei der Weltfrauenkonferenz in Moskau zusammen waren. Und mit Helen Caldicott, unserer Dritten im Bunde seit der Anti-Atomkonferenz in Dublin, wo wir uns 1978 kennen gelernt hatten, die Gesundheitsgefahren durch Tschernobyl wagten anzusprechen? Der sowjetische Frauenverband ließ uns damals unter Glasnost und Perestroika offen reden! Welch ein Kontrast zum Verbot von Memorial und Nova Gazeta heute. Die – worüber du dich gewiss auf einer Wolke gefreut hast – den Friedensnobelpreis erhalten haben, zusammen mit Oppositionellen aus Belarus und der Zivilgesellschaft in der Ukraine.
Du wärest zu den Mahnwachen am Brandenburger Tor für die grüne Bewegung im Iran 2009 gekommen, die ich mit organisierte. Auch jetzt wärst du da gewesen, als Duezen Tükkal eine Demo für die Frauen im Iran organisiert hat, die gegen den Hijabzwang protestieren und gegen die reaktionäre Islamtheokratie und die korrupte Elite im Iran und deren Morde und Lügen. Du wolltest immer beides: atomare Abrüstung und volle Frauenrechte. Religionskritik war dir als liberaler Katholikin nicht fremd.
Du fehlst mir und vielen auch in den feministischen Debatten der Gegenwart zu Prostitution, Kopftuch für Lehrerinnen, Diversity, Antidiskriminierung und Quoten. Du hast ja sofort geklatscht, als ich auf dem Gründungsparteitag der Grünen als erste in Deutschland die Frauenquote forderte in meiner Rede im Januar 1980 in Karlsruhe. Danach haben wir das in den ersten Gremien durchgesetzt – lange vor dem Frauenstatut der Grünen von 1986. Wir beide haben über Zwangsheirat und Genitalverstümmelung und Frauenarmut geredet, verbunden mit US-amerikanischen und französischen Feministinnen.
Die Sonnenblume als Logo der Grünen haben wir beide mit Roland Vogt erfunden, der zu dem Trio der Gründerinnen aus dem Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und der Jungen europäischen Föderalisten (JeF) gehörte. Und wir haben die Sonnenblume dann den Grünen geschenkt. Das war nicht Josef Beuys, wie ein ZDF-Film neulich auf dem Parteitag der Grünen behauptete nach dem Motto, nur berühmte Männer können berühmte Logos und Namen erfinden. Nein. Es war unser Trio, die wir – wie zehntausende Anti-Atomaktivistinnen – das Logo der Designerin aus Dänemark kannten: „Atomkraft, nein danke!
Den Namen „Die Grünen“ haben wir wie aus einem Munde vorgeschlagen, als Milan Horacek von der Charta 77 uns erzählte, dass die linke Parteigründungssszene sich den Namen „Die Alternative“ geben wollte. Das erinnerte uns zwar an Rudolf Bahros wichtiges Buch gegen die Umweltzerstörung, war uns aber zu abstrakt. Den Name „Die Grünen“ fanden wir sinnlicher und auf spirituelle Hoffnungstraditionen bezogen. Dieses Geschenk von drei ParteigründerInnen sollten die Grünen mehr geachtet haben.
Stattdessen warst du in den letzten 30 Jahren fast vergessen in offiziellen Reden und Medienauftritten von Spitzengrünen. Und jetzt wirst du eher als Schmuck verwandt, wie es vielen Toten ergeht, die zu Lebzeiten Konkurrenz und Neid und Intrigen erlebt haben. Kein Zitat von dir und nicht mal dein Name wurde bei der großen Feier zu „40 Jahre Grüne“ Anfang Januar 2020 genannt. Nicht einmal von Lukas Beckmann, der als einziger Gründungsgrüner reden durfte – neben Ströbele, Steinmeier und Luisa Neubauer, Annalena Baerbock, Robert Habeck.
Und acht Jahre zuvor, bei der Trauerfeier 1992, wurde gleichzeitig deiner und deines Mörders gedacht. Das fand ich damals schon genauso schlimm wie das Verschweigen im Jahr 2020. Am späteren Abend der grünen Jubiläumsfeier traf ich, leicht beschwipst, auf Ina Deter, die mich unter Tränen umarmte und rief „Eva , wo ist Petra? Warum redet keiner über Petra?“ Das hat eine ZEIT-Journalistin mitbekommen, die aber mit uns beiden Feministinnen aus der Ära der großen Friedensbewegung und der Gründungszeit der Grünen wohl nichts mehr anfangen konnte.
Welche Aktionen hättest du in den letzten 30 Jahren wohl gemacht, wenn du nicht krank geworden wärest? So was wie die am Alexanderplatz gegen die Repression in der DDR oder die in der Botschaft in Südafrika gegen das Apartheidsystem ? Sicher wärest du bei den Klimademos dabei gewesen. Obwohl du dich – so wie wir zusammen in den 1980er Jahren – klar für Gewaltfreiheit ausgesprochen hättest. Zwar radikale Reden gehalten hättest, doch dich extremen Aktionen widersetzt hättest.
Du warst ja eigentlich eine Greta deiner Zeit. Hast auch ab und zu apokapytische Töne angeschlagen und geschimpft auf die Politik. Ja sogar auf die Grünen, die du als Anti-Partei wolltest. Auch du hast damals schon eine Menge Shitstorms abbekommen und miese Briefe – es gab noch kein Twitter – aus rechtsradikalem Milieu mit der Post.
Du wolltest nicht rotieren. Doch mehr als acht Jahre im Bundestag hättest du auch nicht unbedingt gewollt, was heute bei vielen Grünen normal ist. Du wolltest an eine Uni in den USA, hast du mir einige Tage vor deiner Ermordung erzählt, begeistert und lebensfroh. Du warst mit der Böll-Stiftung und den Grünen zu der Zeit unzufrieden, da du dich mit deinen Geldsorgen und mit dem, was du für die Grünen beitragen konntest, im Stich gelassen und vergessen fühltest.
Doch nicht du, sondern Gerd Bastian kam mir bei den Konferenzen in Salzburg und Berlin im September 1992, deinem letzten Lebensmonat, depressiv vor und seit seinem Unfall sehr gealtert. Ich habe immer versucht, dich als Petra, als einzigartige Frauenpersönlichkeit, wahrzunehmen und habe an uns als feministisches Tandem wie in den Anfängen geglaubt. Dieser „General für den Frieden“ war mir nie ganz geheuer. Ebenso seine Organisation, in der einige aus Italien und Holland der SED, wenn nicht sogar der UDSSR und dem KGB nahe standen.
Merkwürdig, dass er dich im Schlaf erschoss, nachdem ihr im September in Berlin kurz bei der Stasibehörde gewesen ward, wie du mir sagtest. Dein allzufrüher Tod, deine Ermordung durch deinen Lebensgefährten bleibt ein großes Rätsel. Er war ein Schock für mich, der mich jahrelang belastet hat. Gern hätte ich dich aus dieser verstrickten Beziehung erlöst.
Bei der Weltfrauenkonferenz in Miami 1991 waren wir kurze Zeit wieder glücklich zusammen. Bella Abzug und Mim Kelber, zwei Frauengrößen aus der US-Friedens- und Frauenpolitik luden auf ein Schiff ein, wo wir mal ohne den General endlich zusammen essen und reden konnten. Die Ergebnisse dieser Konferenz in Miami, die wir mit Bella und Claire Greensfelder in der Womens Agenda 21 zusammen gefasst haben, sollten sich die Grünen von heute zu Herzen nehmen.
Der neuen Klimabewegung sei gesagt, dass wir schon 1978 übers Klima redeten, und Petra eine ihrer Vorgängerinnen war. Dass ihr als ehemalige Sozialdemokratin und ehemalige EU-Verwaltungsrätin Fakten und Verwaltungswissen so wichtig war wie heute den Scientists For Future. Ob die Talkshows von heute dich eingeladen hätten? Und wie du bei Lanz bestanden hättest? An Sat 1 warst du damals gescheitert. Viele Frauen der alten Frauen-, Umwelt- und Friedensbewgeung kamen nie ins Fernsehen.
Dass wir in Artikeln in der FAZ und dem Tagesspiegel erscheinen würden, war damals undenkbar. Doch du wolltest außer den Medien und Parteien dringend Parlamente erobern. Du hast nach Großem gestrebt, vielleicht manchmal zu angestrengt und zu pathetisch. Zu wenig geerdet auch von denen, die dich dann nach 1983 umgaben und von dir profitierten im Bundestag. Und mit dir konkurrierten oder in der Partei Intrigen gegen dich spannen.
Ich war immer mehr eine Reala und undogmatische Spontilinke Westberlins als Du, in der die Amazone und die mutigen Suffragetten von früher weiter tickten. Black Lives Matter war uns durch die Black Power-Bewegung und Nelson Mandela vertraut. Dazu dein Tibet-Hearing von 1987 und deine Freundschaft mit dem Dalai Lama – dem du mich vorstelltest, und lachtest, als ich ihm wagte, eine Rose zu überreichen.
Wie wärest du wohl mit Angela Merkel klar gekommen? Du hättest deine Reden sehr ändern müssen, wenn du jetzt vor den Fragen der Zeitenwende wie wir stehen würdest. Als Demokratin, die nicht für einen Nato-Austritt war wie viele Grüne, aber wie ich immer für Nato-Reformen, wärest du nicht grundsätzlich gegen Waffenliefeerungen an die Ukraine gewesen.
Du hast zusammen mit Heinrich Böll und seiner Frau in Mutlangen Atomwaffentransporte blockiert – gewaltfrei im Sinne von Gandhi und Martin Luther King. Du warst mit deinem Charisma einmalig. Du hast mich und viele andere mit hinein gezogen in den Strom der Hoffnung und der Parlamentspolitik. Wie wir hattest du aber auch Schwächen und dunkle Seiten.
Petra, du wärst heute im Alter der „Klimaseniorinnen“ aus der Schweiz, die gemeinsam mit Greenpreace gegen die Untätigkeit der Regierungen vor dem Europäischen Menschengerichtshof klagen. Ob du mit ihnen gehen würdest, heute mit dem Schutz gegen rechte und mediale Anfeindungen, der dir vor 30 Jahren gefehlt hat? Und den du dann leider bei einem General gesucht hast. Ob der Comic und die Podcasts, die von der Boell-Stiftung jetzt zu deinem 30. Todestag und deinem 75. Geburtstag produziert werden, dir gefallen würden?
Auf jeden Fall ist es gut, dass einige deiner Reden wieder gelesen werden, das Petra Kelly-Archiv für die Gegenwart genutzt wird – und du nicht in Filmen verwurstet wirst mit dem mysteriösen „Beziehungskrimi“-Ende. Die Kriege der Gegenwart sind dir erspart geblieben und die AfD und die Diktatorenriege der heutigen Zeit, die die Pressefreiheit und die demokratischen Sozialstaaten bedroht. Auch Big Tech mit seiner Konzernmacht global. Du hättest gewiss gegen Facebook geklagt.
Joan Baez „We Shall Overcome“ – wird dir mit ihren Liedern immer noch gefallen. Und sie wird dich nicht vergessen. Hoffentlich auch die vielen feministischen Klimaaktivistinnen und jungen Parlamentarierinnen aus Europa und Afrika und Lateinamerika und Asien nicht.
Eva Quistorp, Berlin, 12. Oktober 2022
Die Grüne Partei scheute sich lange Zeit, den Mord an Petra Kelly als solchen zu benennen. Daran erinnert die Psychotherapeutin Ingeborg Kraus im Oktober 2022 in einem Interview mit der Tageszeitung DIE WELT:
WELT: In Ihrer Petition schreiben Sie von einer Grünen-Tradition, „Gewalt gegen Frauen zu verschleiern“. Was meinen Sie damit?
Kraus: Schon 1992 haben die Grünen den Mord an Petra Kelly…
WELT: …eine Gründungsfigur der Grünen…
Kraus: …vertuscht, indem sie von einem erweiterten Selbstmord sprachen. Dem war nicht so. Ihr Lebensgefährte erschoss sie im Schlaf.
In der Graphic Novel von Illustrator und Autor Simon Schwartz über Petra Kellys Leben, die die Heinrich-Böll-Stiftung anlässlich von Petra Kellys 75. Geburtstag herausgibt, ist dieser Fehler behoben.
Leider zeigt auch der Comic Petra Kelly nur im Kreis von bekannten Männern – ohne ihre Weggefährtinnen wie Eva Quistorp, Solange Fernex, Freda Meissner Blau, Helen Caldicott, Cora Weiss, Bäerbel Bohley.