Zum World Hijab Day am 1. Februar kocht die Diskussion wieder hoch.
Der Redebeitrag von Lale Akgün, Mitglied des Bundessprecherkreises der Säkularen Sozialdemokraten, ist nachlesbar bei Ruhrbarone.de.
Am „Weltkopftuchtag“ sollen sich aus Solidarität auch Nicht-Musliminnen verschleiern. Säkulare MuslimInnen und Frauenrechtlerinnen mobilisieren dagegen unter den Hashtags #NoHijabDay und #LetUsTalk. Gegen ARD und ZDF hagelt es Vorwürfe, mit dem Musikvideo „Mein Kopftuch, meine Wahl“ dem legalistischen Islam Vorschub zu leisten.
Der folgende Text ist ein leicht modifiziertes Transkript meines Radiobeitrags.
Stellen Sie sich vor: Musik – arabischer Pop, eine Frauenstimme: „Mein Hijab. Was ist mein Hijab? Mein Hijab ist mehr als nur ein Kopftuch. Mein Hijab ist Teil von mir – als Frau, als Tochter, als Muslima. Mein Hijab ist Feminismus, der für Freiheit und Würde steht.“
Eine Sequenz aus dem Musikvideo „Mein Kopftuch, meine Wahl“ des Jugendsenders „Funk“ von ARD und ZDF. Zu sehen sind einige junge hübsche Frauen, mit unterschiedlicher Hautfarbe, gekleidet von elegant bis Jeans, die eines gemeinsam haben: Sie tragen einen Hidschab. Es hagelte heftige Kritik. Der Vorwurf: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk fördere den legalistischen Islam. Er wolle ein Kleidungsstück salonfähig machen, unter das weltweit Millionen von Frauen gegen ihren Willen und teils unter Androhung von Gewalt gezwungen würden.
„Es ist es eine perfide Idee, das Kopftuch als Freiheitssymbol zu verklären. Das Gegenteil ist der Fall. Nicht zuletzt, weil das Kopftuch Frauen zum Sexualobjekt degradiert. Die verhüllt werden müssen, weil sie ehrenhaft sind, wenn sie verhüllt sind – und unehrenhaft, wenn sie nicht verhüllt sind.“ Sagt Rebecca Schönenbach, Vorsitzende des Vereins Frauen für Freiheit in Berlin. Fast wie eine Antwort auf ihre Einwände preist das Musikvideo von Funk den Hidschab als Zeichen des Antirassismus:
„Klar ist mein Hidschab auch Projektionsfläche für deine Vorurteile. Was du mit deinem Hass machst, ist dein Ding, nicht meines. (Liedzeile)
Welt-Kopftuch-Tag
Das Musikvideo wurde – Zufall oder nicht – just lanciert, kurz bevor am 1. Februar Kopftuchträgerinnen den World Hijab Day feiern. Aus Solidarität mit ihnen sollen sich an diesem Tag auch nicht-muslimische Frauen verschleiern. Initiiert wurde der Welt-Kopftuch-Tag nach eigenen Angaben von Nazma Khan. Die Tochter einer Einwandererfamilie aus Bangladesch wuchs im New Yorker Stadtteil Bronx auf. In der Schule hätte sie als einzige Kopftuch getragen und sei deshalb gemobbt und bespuckt worden, erzählt sie in einem Video. „Nach dem 11. September lebte ich an der Universität in ständiger Angst, weil sie mich Osama Bin Laden und Terroristin nannten. Dazu wurde ich angestarrt, als käme ich von einem anderen Planeten. Ein paar Mal wurde ich auf der Straße sogar verfolgt. Es war ein Albtraum.“
Das zweite, glücklichere Leben der Nazma Kahn begann, so beschreibt sie es, am 21. Januar 2013. An diesem Tag rief sie auf ihrer Homepage und auf Facebook zum ersten World Hijab Day auf. „Ich wollte Frauen jeglichen Glaubens einladen, einen Tag lang in meiner Haut zu stecken. Vielleicht würde sich dann etwas ändern.“ Inzwischen, so ist auf der Webseite zu lesen, nähmen Menschen in 150 Ländern am World Hijab Day teil. In Europa zum Beispiel in der Schweiz: „Heute ist World Hijab Day. Und wir sind hier in der Bahnhofstraße in Züri…,“ sagt eine junge Frau in einem Video auf YouTube. Zwei junge Musliminnen mit Kopftuch sprechen unverhüllte Passantinnen an und fragen sie, ob sie Lust hätten, einmal ein Kopftuch anzuprobieren. Diejenigen, die nicken, werden mit mitgebrachten Tüchern eingekleidet.
“Der Hidschab ist unsere Krone, kein Verbrechen” ist das Motto des diesjährigen zehnten World Hijab Days. Unter dem Hashtag #DressedNotOppressed („Bekleidet, nicht unterdrückt“) posten selbsterklärte „Hidschabis“ Selfies auf Twitter. Weltweit machen säkuläre MuslimInnen und Frauenrechtlerinnen dagegen mobil. Unter dem Hashtag #NoHijabDay posten sie ihrerseits Videos, in denen sie den Schleier abziehen und schreiben, warum dieser Tag verboten werden sollte.
„This is what the regime in Teheran wants me to be. This is what Taliban and ISIS wants us to be. And this is one true self.“ (Tweet)
Eine Frauengesicht, eingehüllt in einen schwarzen Tschador. Während sie spricht, greifen ihre Hände nach dem Tuch und lassen es fallen. Zum Vorschein kommt wunderschönes volles Haar. Es gehört der Exil-Iranerin Masih Alinejad, die in den USA lebt. Sie sagt weiter: „Im Iran wurde mir gesagt, wenn ich keinen Hidschab trage, fliege ich von der Schule, dann werde ich ins Gefängnis geworfen, ausgepeitscht, verprügelt. Und wenn ich vergewaltigt werde, ist es meine eigene Schuld. Im Westen sagt man mir, dass das Erzählen meiner Geschichte Islamophobie auslösen würde. Ich bin eine Frau aus dem Nahen Osten und ich habe Angst vor der islamischen Ideologie. Lasst uns reden.“
#LetUsTalk
„Let Us Talk“ oder „Lass uns reden“: So heißt auch der Hashtag, den die Journalistin zusammen mit der kanadischen Autorin Yasmine Mohammed ins Leben gerufen hat. Die zwei Frauen stellten sich damit auf die Seite des ägyptisch-kanadischen Kinderchirurgen Sherif Emil. Er hatte im Canadian Medical Association Journal das sogenannte Kinderkopftuch kritisiert – und war dafür der Islamophobie bezichtigt worden. Unter anderem schrieb Sherif Emil: „Der Hidschab, der Niqab und die Burka sind… Instrumente der Unterdrückung von Millionen Mädchen und Frauen weltweit, denen keine Wahl gelassen wird.“ Auf das Leid genau dieser Frauen soll der Hashtag #LetUsTalk aufmerksam machen. Auf Twitter folgen den beiden Initiatorinnen inzwischen eine halbe Million Menschen. Hunderte von muslimisch aufgewachsenen Frauen in den USA und Europa legen in Videoclips symbolisch ihren Schleier ab.
Das Datum des World Hijab Day halten sie alle für sehr bewusst gewählt. Denn am 1. Februar 1979 kehrte der iranische Religionsführer Ajatollah Khomeini aus dem Pariser Exil nach Teheran zurück. Seine „islamische Revolution“ brachte quasi über Nacht die Zwangsverschleierung der Iranerinnen. „Wenn man sich all diese Frauen anschaut, dann ist es ein Verrat als Nichtmuslimin, das Kopftuch aufzusetzen und damit ein hübsches Selfie zu posten, während diese Frauen unter das Kopftuch gezwungen werden.“ Rebecca Schönenbach vom Verein Frauen für Freiheit erachtet es geradezu als Hohn, wenn es in dem Musikvideo von Funk nun heißt:
“Denn mein Hijab ist Glaube, Disziplin, Schutz, Gottesdienst. Kein Zwang. Sondern die freie Wahl, wie ich mich kleiden möchte.“ (Liedzeile)
„Ich werde jetzt in diesem Zusammenhang nicht fragen, was mit den Männern an ihrer Seite ist. Die je nach Jahreszeit und gesellschaftlicher Gelegenheit im Boss-Anzug, in Shorts und T-Shirt oder Badehosen herum laufen. Sind sie nicht in der Gesellschaft angekommen? Sind sie diejenigen, die dem bösen Wort der Assimilation gefolgt sind? Sind sie nicht mehr in der Lage, die Religion hoch zu halten?“ So fragt Lale Akgün aus Köln bei einer Online-Veranstaltung des Vereins Frauen für Freiheit zum World Hijab Day, bewusst provokativ. Die in Istanbul geborene Psychotherapeutin ist auch Mitglied im Bundessprecherkreis der säkularen Sozialdemokraten. In ihren Augen finde in der deutschen Mehrheitsgesellschaft eine Umdeutung des Hidschab statt. In der Psychotherapie auch Re-Framing genannt. Der Hidschab gelte nicht mehr als ein Herrschaftsinstrument der Männer und ein religiöses Symbol, sondern, spitzt Akgün zu, „als Stoff gewordene Diversity“.
„Re-Framing“ des Kopftuchs
„Und die Gesellschaft? Was macht die Gesellschaft? Sie sonnt sich in ihrer eigenen Toleranz. Im Prinzip macht sie nichts anderes als auch die männliche muslimische Gesellschaft: Sie instrumentalisiert die Verschleierung der Frau für ihre eigenes Wohlergehen. Für das Gefühl, dass sie doch alles in der Lage sind zu akzeptieren. Es sollte Ihnen klar werden, dass auch sie mit ihrer Verherrlichung des Schleiers genauso den weiblichen Körper zu einer Tabuzone erklären wie die Islamisten.“ Lale Akgün hat dabei auch eine von der EU finanzierte Kampagne vom November 2021 im Auge. Bilder und Videos zeigten Frauengesichter – eine Hälfte mit sichtbarem Haar, die andere Hälfte mit einem Hidschab bedeckt. Dazu der Slogan „Schönheit liegt in Diversität, wie Freiheit im Hijab liegt“. Nach empörten Reaktionen aus ganz Europa wurde die Kampagne gestrichen. Für die Initiatorin des World Hijab Day, Nazma Khan, nur ein weiterer Beweis für Islamfeindlichkeit. Auf Twitter schreibt sie: „Eine typische schmutzige Taktik in westlichen Ländern ist es, im Vorfeld von Wahlen den Körper von muslimischen Frauen ins Visier zu nehmen, um die Inkompetenz der Politiker zu verdecken. Das Burka-Verbot in Frankreich bei Sportveranstaltungen ist ein Paradebeispiel dafür.“
„#LetUsTalk“-Initiatorin Masih Alinejad macht dagegen klar, dass ihre Kampagne nicht gegen Frauen gerichtet ist, die ihren Hidschab freiwillig tragen. Im Visier seien die Vorschriften des Islam, die Millionen Frauen unterdrückten. „It is very clear we are not against the women who choose to wear hijab. But the Islamic law is against me and millions of women.“