Mehr als 10.000 Menschen protestierten in Berlin gegen die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes. Eine Reportage
Mittwoch, 21. April, circa 14:30 Uhr: Die Demo gegen die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes ist bereits vor anderthalb Stunden von der Polizei aufgelöst worden. Bis dahin waren die meisten der rund 10.000 Menschen auf der Straße des 17. Juni, nahe des Bundestags, mehr in Party- als in Kampfesstimmung. Mehrere Gruppen hatten parallel Versammlungen angemeldet, darunter auch Querdenken-30 aus Berlin. Bis zum offiziellen Ende: keine besonderen Vorkommnisse, Danach tanzte im angrenzenden Park, dem Tiergarten, eine immer größer werdende Schar unter anderem zu David Hesselhoffs „Looking For Freedom“, dem Mauerfall-Song von Silvester 1989.
Nun, nach dem Auflösen der Demo, hat die Polizei die Straße mit Gittern abgesperrt. Die Demonstranten sollen auf den Tiergarten ausweichen und nach Hause gehen. Doch viele sind entschlossen zu bleiben. Schätzungsweise Tausend Menschen sammeln sich vor der Absperrung in Sichtweite des Brandenburger Tors. Einige haben Regencapes angezogen für den Fall, dass die Polizei Wasserwerfer einsetzen sollte wie bei der Großdemo gegen das Infektionsschutzgesetz am 18. November 2020. Den Demonstranten gegenüber haben sich junge Bereitschaftspolizisten positioniert in schwarzen Uniformen, mit Helm und Visier.
Demo nach der Demo
Durch ein Megaphon ertönt die Ansage der Polizei, die Kundgebung sei aufgelöst und die Menschen würden somit jetzt an einer nicht genehmigten Veranstaltung teilnehmen. Sie sollten sich zum Ausgang Potsdamer Straße begeben.
„Wir haben das Recht zu demonstrieren“, ruft jemand aus der Menge. „Wir sind das Volk, wir sind das Volk“, skandiert ein anderer, und die Leute um ihn herum fallen mit ein. 50 Meter weiter, unter den Bäumen im Park, stimmt eine Frau die Nationalhymne an, alle singen mit. Eine Gruppe Polizisten taucht auf, sie wollen die Demonstranten Richtung Ausgang drängen. Eine junge Frau stellt sich vor sie und schreit sich die Seele aus dem Leib. Was sie schreit, ist kaum zu verstehen, ihre Stimme überschlägt sich. Eine Viertel Stunde später wird sie von einer Hand voll Polizisten abgeführt.
„Eltern Stehen Auf – Würzburg“
„Rosi ist jetzt mitgenommen worden, so wie schon Sarah aus unserer Gruppe vor ihr“, sagt ein Mann. Er stellt sich vor als Soziologe, Pädagoge und Kinderschutzfachkraft vor. Er sei Mitglied der Initiative „Eltern Stehen Auf – Würzburg“, und sein Name sei Jayden.
Frage: Womit haben die Frauen die Polizei provoziert?
Jayden: Man muss nicht provozieren, man muss nur die Nationalhymne singen, dann wird man schon festgenommen. Ich bin wirklich fassungslos.
Wofür steht „Eltern Stehen Auf – Würzburg“?
Jayden: Wir stehen auf für die Wahlfreiheit, ob man sich impfen lassen will oder nicht, auch für eine Maskenfreiheit und die Testfreiheit. Wir finden diese Maßnahmen gegenüber Kindern für unverhältnismäßig. Auch die Eltern stehen unter großem Druck, weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Zum einen gibt es keine Unbedenklichkeitsstudien. Zum anderen haben Kinder ein anderes Lungenvolumen als Erwachsene. Viele Eltern wenden sich dann an uns und fragen um Rat. In unserer Gruppe sind auch Ärzte, sogar Chefärzte.
Würden Sie bitte einen Fall schildern.
Jayden: In einer Schule im Landkreis Würzburg gab es einen Verdachtsfall, und die Eltern wurden angewiesen, ihre Kinder in Quarantäne zu nehmen. Ein Elternpaar hat tatsächlich ihr Kind zu den Mahlzeiten auf den Balkon gesetzt, wo es alleine essen musste. Und das im Winter. So ratlos waren die Eltern, wie sie die Quarantäne umsetzen sollten. Und so groß war ihre Angst vor dem Virus. Von einem anderen Fall hat sogar die Würzburger Tageszeitung „Main-Post“ berichtet: Ein behinderter Jungen, der noch dazu aufgrund eines sexuellen Missbrauchs traumatisiert ist, sollte getestet werden. Weil er sich gegen das Einführen des Teststäbchens wehrte, hielten zwei Personen ihn fest, damit der Test durchgeführt werden konnte.
Zwei Extremfälle. Was ist mit ganz „normalen“ Kindern?
Jayden: Die meisten Kinder versuchen, möglichst still zu sein, „still“ im Sinne von, man lehnt sich nicht auf. Denn andernfalls wird das Kind in der Klasse eventuell ausgestoßen. Viele Kinder werden gemobbt im Klassenraum, weil die Eltern gegen die Maskenpflicht sind. Oder die Kinder können keine Maske tragen, weil sie zum Beispiel Asthmatiker sind. In einigen Fällen sind die Kinder wirklich kollabiert im Klassenraum. Ein Kind musste sogar zwei, drei Mal mit dem Krankenwagen abgeholt werden. Ihm war jedes Mal schwindlig geworden, dann war er kollabiert, aber trotzdem hatte er am nächsten Tag wieder zum Unterricht gehen und Maske tragen müssen.
Es gibt die Möglichkeit, vom Arzt ein Attest ausfertigen zu lassen, um das Kind von der Massenpflicht befreien zu lassen.
Jayden: Solche Atteste werden prinzipiell angezweifelt. Wir hatten Fälle, wo Hausdurchsuchungen bei Ärzten durchgeführt wurden, weil sie Atteste ausgestellt hatten für ihre Patienten, die aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen dürfen. Diese Ärzte werden diffamiert, sie laufen Gefahr, ihre Approbation zu verlieren. Deswegen weigern sich viele Eltern und auch Ärzte, diesen Schritt zu wagen.
„Schubsen und Drücken“
Nach und nach rücken immer mehr Polizisten in den Tiergarten vor. Einer erzählt, ihre Aufgabe sei es, die Demonstranten zum nahegelegenen Ausgang zu kanalisieren. Das geschieht mit höflichen Aufforderungen „Sie gehen jetzt bitte alle, die Veranstaltung ist aufgelöst“ über leichtes „Schubsen und Drücken“, wie es in der Polizeimeldung heißen wird, bis hin zu Fußtritten gegen Demonstranten, die sich zum friedlichen Widerstand auf den Boden gesetzt haben. In einer Reihe stehend und sich langsam in Richtung Ausgang schiebend, bilden die Polizisten eine schwarze Drohkulisse. Zwischendurch setzt sich eine Gruppe von ihnen in Bewegung und greift sich, scheinbar wahllos, einen Demonstranten, seltener eine Demonstrantin, und führt sie ab. Dann buht und pfeift die Menge, man hört Trillerpfeifen und Trommelschlagen. Wut kocht hoch.
„Hört auf mit eurer Gewalt!“, schreit eine Frau. Ein Mann brüllt: „Hoffentlich sterbt ihr bald alle!“ Ein anderer ruft in Richtung der Polizisten: „Schließt euch uns an. Ihr wisst doch auch, dass wir verarscht werden.“ (Er meint die Regierung.) Und immer wieder: „Schande!“ und „Schämt euch!“
„So viele Polizisten gegen eine Person! Das packe ich nicht“, meint Jayden. „Eigentlich wird man Polizist, um Verbrecher zu jagen – und nicht friedliche Demonstranten.“ Gerade greift sich eine Gruppe Polizisten wieder einen Mann. Ein Polizist springt ihn von hinten an, nimmt seinen Kopf zwischen die Arme und biegt ihn zurück. Auf den Einwand, dass es den Anschein hätte, als gingen sie brutal auf friedliche Demonstranten los, antwortet ein Polizist: „Sie haben nicht gesehen, was der Mann vorher getan hat.“ Mehr sagt er nicht, denn als Polizist dürfe er sich öffentlich nicht zum Einsatz äußern.
Nächste Woche Demo in München
Inzwischen ist es fast 16 Uhr. Jaydens Smartphone klingelt. Kurzes Gespräch, sein Gesicht entspannt sich. „Rosi und Sarah sind wieder frei“, sagt er erleichtert. Tatsächlich wartet am Ausgang des Parks Rosi mit ihrem blauen Rucksack. Zum Glück hätte man sie nur wegen einer Ordnungswidrigkeit belangt – dem Nicht-Tragen einer Maske. Sarah ist schon bei den anderen. Nun kann die Gruppe noch an diesem Tag wieder zusammen nach Würzburg zurückfahren. In der nächsten Woche wollen sie in München vor dem bayerischen Kultusministerium demonstrieren gegen die Testpflicht in Schulen.
Jayden macht eine Beispielrechnung auf: In Deutschland gäbe es 12 Millionen schulpflichtige Kinder. Wenn man die zweimal pro Woche teste, wären das 24 Millionen Tests. Auf zehn Wochen 240 Millionen Tests. Bei einer Fehlerquote von nur einem Prozent ergäbe das 2,4 Millionen Kinder, die ein falsch positives Ergebnis bekommen hätten. Man müsse sich vorstellen, was das für ein Kind bedeute: „Es denkt, es sei krank. Vielleicht bekommt es den Stempel: „Achtung, dieses Kind hat Corona, halte dich von ihm fern!“ Jayden schüttelt den Kopf. „Es heißt nicht umsonst, wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“, sagt er zum Schluss. „Wir möchten das nicht. Und deshalb sind wir hier.“
Am Schluss
Zum Schluss, als nur noch vereinzelt Demonstranten am Parkausgang stehen, und die ersten Polizisten sich bereit machen, in ihre Wannen zu steigen um wegzufahren, rastet noch ein Demonstrant aus, als er von einer Gruppe Polizisten auf den Gehweg bugsiert wird. Der Mann dreht sich um und schlägt einem Polizisten, der zu diesem Zeitpunkt kein Visier mehr trägt, mit der Faust ins Gesicht. Er wird abgeführt.
Über „Eltern Stehen Auf – Würzburg“:
Seit ihrer ersten Veranstaltung im September 2020 veranstaltete die Initiative mehrere Kundgebungen und Spontandemos in Würzburg. Seit November gehen sie mehrmals in der Woche aus Protest gegen den Lockdown gemeinsam spazieren. In einem Offenen Brief an die Stadt Würzburg fordern sie die Einführung von Evaluierungsinstrumenten, um die Auswirkungen / Folgen / Umsetzbarkeit der Maßnahmen auf Kinder / die Bevölkerung festzustellen. Außerdem verlangen sie ein diskriminierungsfreies Konzept für Masken-befreite Menschen.